Machnig: „Schwarz-Gelb ist für steigende Strompreise verantwortlich“
Jährlich steigen die Strompreise. Wegen der Energiewende? Nein, erklärt Matthias Machnig, Energie-Experte in Peer Steinbrücks Wahlkampfteam, im Interview mit vorwärts.de. Der Regierung fehle ein Konzept für den Atom-Ausstieg. Dadurch treibe sie die Kosten für Stromkunden nach oben.
Die SPD wirft der schwarz-gelben Regierung vor, die Energiewende zu gefährden. Was macht sie denn falsch?
Es gibt zwei Minister, die an einem Strang ziehen, aber in die völlig falsche Richtung. Beide irritieren mit ihren Vorschlägen immer wieder die Investoren in diesem Land – und zwar die großen Energieversorger genauso wie die Investoren in erneuerbare Energien. Etwa, wenn Philipp Rösler einen sofortigen Ausstieg aus dem EEG fordert oder rückwirkend die Einspeisevergütung für Windenergie kürzen will. Das sind massive Angriffe auf die Investitionssicherheit in diesem Land. Herr Rösler, der als eigentlich zuständiger Energieminister ein Totalausfall ist, und Umweltminister Altmaier blockieren sich gegenseitig – und damit auch die Fortschritte bei der Energiewende. Wenn man den Peter Altmaier sieht, wünscht man sich manchmal Norbert Röttgen zurück. Der hat auch nicht viel mehr hingekriegt, aber stand nicht so oft in den Medien. Die Bundesregierung hat bei der Energiewende kein Konzept. Das ist das eigentliche Problem. Die Energiewende ist die wichtigste Infrastruktur-Maßnahme der letzten Jahrzehnte. Von daher dürfen wir uns solche Totalausfälle nicht erlauben.
Für die Verbraucher steigt der Strompreis Jahr für Jahr, obwohl die Erzeugerpreise kontinuierlich. Woran liegt das?
Tatsächlich steigen in Deutschland die Strompreise auf ein Niveau, das die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gefährdet und auch soziale Probleme verursacht. Das liegt vor allem daran, dass der Börsenpreis von Strom zwar sinkt, dieser sinkende Börsenpreis aber nicht an die Verbraucher weitergegeben wird. Deshalb muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass die großen Energieversorger die eingesparten Kosten an die Verbraucher weitergeben. Eine gesetzliche Grundlage dazu hätte sie, denn es gibt eine entsprechende Verordnungsermächtigung im Rahmen des Energiewirtschaftsgesetzes.
Muss die Politik den Preisanstieg, der durch die Umlage aus dem Erneuerbare Energiengesetz (EEG) entsteht, eindämmen? Immerhin hat sie sich seit 2009 vervierfacht.
Dafür ist Schwarz-Gelb verantwortlich. Die EEG-Umlage ist unter dieser Regierung von 5,27 Milliarden auf 20,3 Milliarden angestiegen. Das hat unterschiedliche Gründe. Einerseits sind Kostenminderungsmöglichkeiten im EEG nicht genutzt worden. Vor allem aber hat die Regierung zugelassen, dass immer mehr Unternehmen von der EEG-Umlage befreit wurden. Das ist nur dort gerechtfertigt, wo es sich um energieintensive Unternehmen handelt, die im internationalen Wettbewerb stehen und kaum technische Möglichkeiten haben, ihren Stromverbrauch zu reduzieren. Doch es haben sich auch Einzelhändler oder Golfplätze von der Umlage befreien lassen, um nur zwei von vielen absurden Beispielen zu nennen. Da wird Missbrauch betrieben, der sofort beendet werden muss. Mittlerweile sind 2500 Unternehmen von der EEG-Umlage befreit. Das kostet die anderen Stromverbraucher pro Jahr vier Milliarden Euro.
Vor wenigen Tagen haben einige der großen Energieversorger angekündigt, Kohle- und Gaskraftwerke vom Netz zu nehmen, weil ihr Betrieb nicht mehr profitabel sei. Das beträfe bis zu 20 Prozent der konventionellen Energieversorgung. Können Sie die Pläne nachvollziehen?
Es stimmt: Wir haben viele Kraftwerke in Deutschland, die kein Geld mehr verdienen und sogar Verluste schreiben. Das ist einerseits darauf zurückzuführen, dass wir inzwischen beim Zubau der Erneuerbaren gut vorangekommen sind. Wir haben heute über 25 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien. Und in Tagen wie diesen – im Hochsommer – stellen allein die Solarstrom-Anlagen mittags bis zu 30 000 Megawatt zur Verfügung. Die konventionellen Kraftwerke brauchen ihren Strom dann nicht mehr ins Netz zu speisen. Das macht sie unwirtschaftlich. Die Sonne scheint aber nicht immer so stark, und deshalb brauchen wir auch Kraftwerke, die die Versorgungssicherheit gewährleisten. Die fossilen Kraftwerke bleiben unverzichtbar für eine sichere Energieversorgung.
Wie will die SPD das sicherstellen?
Wir fordern ein neues Strommarktdesign. Es soll zum einen sicherstellen, dass der Ausbau der Erneuerbaren kosteneffizient erfolgt. Zum anderen soll es gewährleisten, dass Kraftwerke, die Versorgungssicherheit garantieren, dafür auch ausreichend entlohnt werden. Und wir brauchen Rahmenbedingungen für den Zubau von Gaskraftwerken ab 2020, wenn die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen. Das muss die Aufgabe sein für die Politik. Spätestens 2015 muss das im Gesetzblatt stehen.
Die Bundesnetzagentur warnt bereits vor Engpässen in der Stromversorgung und vor Stromausfällen. Ist das aus Ihrer Sicht begründet?
Wir müssen tatsächlich heute in Deutschland Stromkapazitäten als Reserve zukaufen, besonders im Winter. Das tut die Bundesnetzagentur, die jährlich 2500 Megawatt aktiviert. Ein weiteres Problem ist: Wir müssen den zusätzlichen Strom, der aus Erneuerbaren kommt, auch transportieren können. Wir brauchen also einen stärkeren Netzausbau in den nächsten Jahren. Und wir brauchen neben den Erneuerbaren auch mehr flexibel handhabbare Kraftwerke – in der Regel Gaskraftwerke – um die Stabilität in den Stromnetzen zu erhalten. Das wird eine Schlüsselaufgabe sein, um Versorgungssicherheit in Deutschland sicher zu stellen.
Wie wollen Sie den Netzausbau mit politischen Mitteln vorantreiben?
Wir brauchen eine Deutsche Netz AG mit einer öffentlichen Beteiligung von 25,1 Prozent, damit die öffentliche Hand dafür Sorge tragen kann, dass der notwendige Ausbau auch erfolgen kann. Dann kann der Staat auch sicherstellen, dass genügend Eigenkapital vorhanden ist, um bestimmte Netzprojekte zu realisieren. Nicht jeder Betreiber hat genügend Eigenkapital, um die in den nächsten Jahren notwendige Projekte auch wirklich finanzieren zu können.
Um die Energiewende zu koordinieren, will die SPD nach der Bundestagswahl ein eigenes Energieministerium schaffen. Welche Aufgabe sollen hier gebündelt werden?
Wir haben heute die absurde Situation, dass sechs Bundesministerien in irgendeiner Form für die Energiepolitik mit zuständig sind: Das Wirtschaftsministerium, das Umweltministerium, das Landwirtschaftsministerium, das Verkehrsministerium, das Finanzministerium und das Forschungsministerium. Aber die Energiewende ist zu wichtig, um sie durch Ressortstreitigkeiten zu gefährden. Deswegen ist es notwendig, die Kompetenzen in einem Ministerium weitgehend zu bündeln. Wir brauchen einen klar erkennbaren Ansprechpartner der Bundesregierung, an den sich die großen Energieversorger genauso wenden können wie die Vertreter der Erneuerbaren Energien.
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arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.