Inland

Linke Bewegung im Web 2.0

von Igor Eidman · 29. November 2009
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Die Wahlen in den Deutschen Bundestag brachten zwei wesentliche Neuigkeiten. Die erste, die auch zu erwarten war - eine große Niederlage der Sozialdemokraten. Die zweite, fast sensationelle - ein überraschender Erfolg der Piratenpartei, die 2% der Wähler (fast eine Million der Stimmen) erzielt hat.

Die alten und neuen Linken

Der Misserfolg der Sozialdemokraten, neben dem letzteren Scheitern bei den Wahlen in das Europaparlament, lieferte ein weiteres Mal den Beweis einer globalen Krise der linken Bewegung in Europa. Die oft genannte Krisenursache ist die tiefe Diskrepanz zwischen den deklarierten Zielen und realen politischen Geschäften der Parlament-Linken. Die Hauptaufgabe der Linken war der Interessenschutz einer unprivilegierten Mehrheit der Bevölkerung. Demgemäß strebten die labouristischen und sozialdemokratischen Regierungen in Europa danach, bestimmte soziale Reformen im Interesse der Lohnarbeiter, Arbeitslosen, Sozialhilfebedürftigen sowie Rentner durchzuführen.

Heutzutage sieht die Situation anders aus. Die sozialistische Bewegung, die im 19. Jahrhundert entstand, galt zunächst als revolutionär und bekam erst im Laufe der nächsten hundert Jahre einen reformistischen Charakter. Im 21. Jahrhundert stellt sie eine Schutzfunktion dar. Die Aufrechterhaltung der existierenden sozialen Ordnung betrachten die linken Parteien als einen Schutz für Errungenschaften der vergangenen Jahre. Jedoch findet diese Erklärung keine Anerkennung mehr bei den Wählern, die keine positiven Ergebnisse in so einer Verteidigungstaktik sehen.

Ist die linke Idee in Europa eigentlich gestorben? Natürlich, nicht. Die neue linke Welle kam aus dem Internet. Ihre Vertreter sind Anhänger des freien Informationsaustauschs, der kreativen Produkte, Gegner des Copyrights und Gegner von Überwachung. Geboren in World Wide Web durchschritt diese Bewegung bereits eine Entwicklungsperiode, d.h. die Zeit von ersten Programmtexten, Manifesten, Büchern, Internet-Utopien über Piraten. In der heutigen Zeit führte diese Bewegung zur Gründung ziemlich bekannter Parteien und wurde zum Subjekt einer realen, unter anderem auch einer parlamentarischen Politik.

Für Aufsehen sorgte eine Organisation, die der schwedischen Piratenpartei sehr ähnelt. Der letzteren gelang es bei den Wahlen in das Europaparlament in Schweden gravierende 7% der Stimmen zu erreichen. Erfolgreiches Auftreten der gleichgesinnten deutschen Partei bestätigte, dass "Piratenideologie" immer mehr Anerkennung bei den Europäern findet.

Wie es scheint, fand diese neue politische Kraft die Ferse des Achilles in dem aktuellen kapitalistischen System. Sie sind gegen Copyright, d.h. gegen die wichtigste Form des Privateigentumsrechts in der postindustriellen Gesellschaft.

Die heutige Offensive der Unternehmen und Regierungen auf einen freien Tausch mit Informationsprodukten im Internet, das Recht, das die "Piraten" schützen, hat tiefe soziale Ursachen. Bereits zu Beginn der Entwicklung der Net Economy im Bereich des freien Filesharings, kamen viele Experten, darunter Siva Vaidhyanathan, Yochai Benkler und andere, zu dem Schluss, dass dies eine Bedrohung für die kapitalistische Weltordnung darstellt. Die Welt steht vor einer Alternative: Entweder frisst der Kapitalismus die neue Wirtschaft des freien Tauschs mit dem intellektuellen Gut im Netz oder deren Prinzipien werden universell.

"Piratenparteien" werden den Status einer einflussreichen politischen Kraft sowie ihre Ziele nicht erreichen, wenn sie sich nur mit Informationsproblemen beschäftigen. Die Kampflogik wird sie unvermeidlich dazu zwingen auch politische und soziale Fragen in Anregung zu bringen, vor allem das Schlüsselproblem der Macht. In dieser unumgänglichen Schlacht haben Piraten potentiell starke Verbündete und Einflussinstrumente.

In der modernen Welt schreitet aber nicht nur die Bewegung für den freien Tausch mit Informationen und Informationsgütern voran. Eine weite Ausbreitung von sog. "Sozialen Netzwerken" im Internet, schuf ein günstiges Kommunikationsmilieu für die Bildung von vielen Protestorganisationen. Internet wird immer öfter und effektiver von verschiedenen Oppositionsbewegungen als Instrument in einem konterpolitischen Kampf (bereits nicht nur in Moldau, dem Iran oder Thailand, sondern auch in Westeuropa) eingesetzt. Die "Aufstände von sozialen Netzwerken" und die Entwicklung der "Piratenparteien" sind verwandte und gegenseitig ergänzende Prozesse. Man darf auch die Antiglobalisierungsbewegung nicht vergessen, bei der viele Aktivisten und Führer ebenfalls aufdie Entwicklung der sozialen Netzwerke im Internet setzen. Es besteht eine Chance, dass sich all diese Prozesse zu einem Ganzen zusammenschließen und dadurch eine starke soziale Protestbewegung bilden. Diese Bewegung kann die linke Politik in Europa emporrichten sowie sich in weitere weitblickende linke Parteien integrieren.

Linke in Europa: von Etatismus zum Libertarismus

Unter dem Staat stellten sich die linken Kräfte in Europa ein rationelles Instrument vor, das auf die Marktprozesse Einfluss hat und den Interessenschutz der Bevölkerungsmehrheit gewährleistet.

Programme der europäischen Sozialisten enthielten oft zwei Hauptrichtungen: Verstaatlichung einzelner gesellschaftlich bedeutsamer Wirtschaftsbereiche und Unternehmen sowie die Verstärkung der Neuverteilung von Staatskosten und Sozialhilfe für Bedürftige. Im Ergebnis bedeutete der Machtantritt der Linken eine verstärkte Einmischung in die Staatswirtschaft. Nach dem Krieg war die soziale Geschichte in vielen europäischen Ländern zyklisch. Waren die Linken an der Macht kam es zur Verstaatlichung sowie zu einer Steuerfortschrittlichkeit, kamen die Rechten an die Macht kam es zur Steuersenkung und Privatisierung.

So war es im 20. Jahrhundert, d.h. in der Zeit der industriellen Produktionsherrschaft in der Wirtschaft. In der modernen "kreativen Wirtschaft", die auf einer intellektuellen Freiheit basiert, wird der Einfluss auf die Gesellschaftsentwicklung anders zum Ausdruck gebracht.

Die Internet-Revolution sprengte das Monopol der regierenden Elite im Bezug auf die Informationsausbreitung. In der neuen Situation nehmen die Möglichkeiten der Gesellschaftsmanipulation seitens der Elite ab. In einer interaktiven Informationskultur der sozialen Internet-Netzwerke haben die Menschen mehr Chancen ihre rationale, politische oder konsumtive Wahl von den Manipulationen unabhängig zu machen. Dabei ist eine Rationalisierungsquelle unter diesen Bedingungen nicht mehr der Staat, sondern die Bürger selbst, die sich im World Wide Web zusammenschließen.

"Internet-Linke" behaupten, im Vergleich zu den Sozialisten des 20. Jahrhunderts, dass es nicht notwendig ist, dass der Staat sich verstärkt in die Wirtschaft einmischt. Vielmehr ist es wichtiger, auf einen repressiven Schutz der veralteten kapitalistischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse und Strukturen zu verzichten und eine Einschränkung bezüglich des Informations- und Produktionsaustausches mit vereinten Kräften aufzuheben.

Die aktuelle Krise hat noch einmal demonstriert, dass das sozial-wirtschaftliche System der modernen Gesellschaft einer rationalen Modernisierung bedarf. Die Programmforderungen der Piratenparteien entsprechen dieser Aufgabe objektiv. Traditionelle Parlaments-Linke können dadurch neue Kräfte gewinnen, wenn sie ihre Programmforderungen und deren Realisierung gemeinsam mit den neuen Internet-Linken entwickeln. Natürlich scheint diese Perspektive noch utopisch. Die Parteibürokratie sitzt noch ziemlich tief in der konservativ regierenden Elite. Es scheint aber so, dass die Linken in der sich ständig ändernden Welt keine Wahl mehr haben.

Das zukünftige linke Programm kann leicht sowohl neue (Anti-Copyright, Anti-Brand, Freier Informationstausch, Wirtschaftliche Tätigkeit im Netz, Direkte Demokratie durch das Netz) als auch traditionelle (Soziale Gerechtigkeit, Interessenschutz der Arbeiter -vor der Willkür der Eigentümer, Gesellschaftschutz - vor der Diktatur der Business-Elite) Forderungen der Linken enthalten. Realisierung eines solchen Programm erfordert eine radikale Demokratisierung aller Seiten des Gesellschaftslebens, Abschaffung der archaischen sozialen Einrichtungen, die die Macht und Privilegien der Eigentumseliten schützen, sowie Unterstützung der neuen, rationaleren Beziehungen, die den heutigen Anforderungen des technologischen Fortschritts entsprechen.

Als Vorbild des neuen Modernisierungsprogramms dient die schöpferische Entfaltung der Gesellschaft, gleichberechtigter sozialer Austausch und die Zusammenarbeit in den Informationsnetzen ohne Ausbeutung der Arbeitnehmer.

Demokratie gegen Oligarchie

Die neuen Möglichkeiten der Internet-Netzwerke sind in der Lage, die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Politikern und Wählern zu ändern.

Im Rahmen einer traditionellen repräsentativen Demokratie vertrauen die Wähler den Politikern die Möglichkeit an, Entscheidungen in ihrem Namen zu treffen, um dadurch eigene Interessen und politische Anschauungen zu realisieren. Die unmittelbare Netzdemokratie setzt voraus, dass die Wähler selbst ihre Entscheidungen treffen und an die Politiker nur die Pflicht der Realisierung delegieren.

Neben dem Interessenschutz war es das Ziel der Linken, die Einflussmöglichkeiten der "einfachen Menschen" auf die Politik und Macht zu erweitern. Es existiert bereits eine technologische Basis für eine schnelle Entwicklungsbeschleunigung in diese Richtung. So kann eine nicht elitäre Mehrheit ein Subjekt der realen Politik werden, sich unmittelbar in einen politischen Prozess einmischen sowie an Entscheidungen und der Staatsleitung teilnehmen. Dieser neue "Massenaufstand" hat bereits begonnen, dessen Folgen schwer einzuschätzen sind.

Dank den neuen Informationstechnologien hat das politische System der Entwicklungsländer alle Chancen in Richtung einer direkten und beratenden Demokratie zu evolutionieren. Das ist der Leitsatz vieler meiner Arbeiten. Erst vor kurzem schien er strittig und mutig, nach dem Machtantritt von Barack Obama wird er aber sehr aktuell und nahezu banal. Die Heranziehung von breiten Massen der Wähler, nicht nur zu den Politikerwahlen, sondern auch anderen Gesellschaftsentscheidungen, wurde eines der verkündeten Ziele des amerikanischen Präsidenten. Ganz zu Beginn der Arbeit von Obamas Regierung, wurde ein "Transparency and Open Government Memorandum" verabschiedet.

Das Memorandum definiert die neuen Prinzipien der Wechselwirkung zwischen Staatsmacht und Gesellschaft: Transparenz, öffentliche Beteiligung, Zusammenarbeit (transparency, participation, collaboration). Obama beschränkte sich nicht nur auf Deklarationen. Auf diesen Prinzipien baut die Arbeit der neuen sozialen Internet-Ressourcen auf, die von der Regierung finanziert werden. Die Ressourcen ermöglichen es den Wählern, aktiv an der Ausarbeitung von Lösungen in verschiedenen Bereichen teilzunehmen: von der Umweltschutzagentur und dem Verteidigungsministerium bis zu den Problemen der Geschichtslehrer und Small Business Vertreter.

Die Realisierung einer sog. "Wiki-Regierung"-Ideologie in den U.S.A., die solche radikalen Anhänger von Obama wie Beth Noveck fördern, erlebt gerade ihren Anfang. Unabhängig von den Plänen der amerikanischen Regierung, wird sich dieser Prozess kaum auf eine Integration der neuen Informationsmöglichkeiten in das alte politische System beschränken. Es ist unmöglich den "jungen Wein in alte Schläuche zu füllen". Ein archaisches System passt nicht zu den neuen technologischen Möglichkeiten. Man darf nicht auf halbem Wege stehenbleiben. Die Logik einer demokratischen Prozessentwicklung sollte von der von Obama verkündeten "Transparenz, öffentlichen Beteiligung, Zusammenarbeit der Wähler mit der Regierung" , zu den politischen Entscheidungen und direkter Machtsteuerung führen, perspektivisch gesehen zu der Bildung von Leitungsstrukturen im Netz, die über ihnen gesetzlich zugeteilte Machtkompetenzen verfügen.

Damit diese Perspektive wahr wird, ist es notwendig, dass soziale Wählernetzwerke einen offiziellen Status bekommen. So könnten alle Interessenten nicht nur über Probleme diskutieren, sondern auch an deren Lösungsentwicklung teilnehmen, was wie bei einer Regierung obligatorisch wäre. Aus diesen Netzwerken können fachbezogene, regionale oder lokale Leitungsstrukturen entstehen, in denen Prinzipien direkter Demokratie Anwendung finden. Zweifellos sollten solche Netzwerk-Behörden eine Registrierungsprozedur der Wähler voraussetzen (nach dem Prinzip "1 Mensch = 1 Stimme"), gegen Hackerangriffe geschützt sein und in erster Zeit mit traditionellen Leitungsstrukturen zusammenarbeiten. Perspektivisch gesehen kann auf ähnliche Art und Weise ein allgemeines Internet-Parlament entstehen, das die repräsentativen Machtorgane ablösen kann.

Linke Bewegung in Europa - ist genau die politische Kraft, die aus eigener Ideologie und geschichtlicher Erfahrung ausgehend ein politischer Lobbyist dieses Prozesses werden kann.

Bei sich anfangen

Ein Beginn der Realisierung von direkten Demokratieprinzipien, Beteiligung der Wähler an dem Entscheidungsprozess kann auf der inneren Organisationsebene der linken politischen Parteien stattfinden.

In Moldau und dem Iran führten sozialen Netzwerke zu massiven Protesten auf den Straßen. In den U.S.A. halfen sie Obama und in Australien Rudd die Wahlen zu gewinnen. Jedoch spielten Netzgemeinschaften in allen diesen Fällen nur eine untergeordnete kommunikative Rolle. Sie waren eine Art "Trägerrakete", die es ermöglichte, Parteien und deren Führer auf die Umlaufbahn des politischen Erfolges zu bringen.

Durch eine Zusammenarbeit im Netz kann man aber viel mehr erreichen. Menschen können dort Ziele erreichen und bestimmen, eigene strategische Aufgaben und konkrete Handlungen bestärken, alternative politische Führerkandidaten aufstellen. Dadurch werden die Internet-Gemeinschaften zu keinem einfachen Instrument der Wählerschaft für die Parteien und ihre Führer. Sie werden zu einem eigenverantwortlichen Subjekt der Politik, das wie ein offener Aufzug funktioniert und welches die technologischen Möglichkeiten zur Kompetenzfeststellung und Teilnehmerförderung nutzt.

Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts sagte ein äußerst erfolgreicher Politiker Russlands: "Gebt uns eine Organisation von Revolutionären und wir kippen Russland um!". Bald darauf, hat er sein Versprechen erfüllt, wie auch tragisch die Konsequenzen dieses Erfolges heute sein mögen. Seitdem sind fast ein hundert Jahre vergangen und die Technologien haben sich grundlegend verändert. Heute kann man die Worte des "Proletariat-Führers" anders formulieren: "Gebt den aktiven Bürgern technologische Möglichkeiten für eine politische Selbstorganisation und sie werden die existierende soziale Ordnung verändern".

Zahlreiche soziologische Befragungen liefern den Beweis dafür, dass sich politische Eliten in einer Vertrauenskrise befinden. Breite Schichten der Bevölkerung behaupten, dass Politiker sich immer mehr vom Volk entfernen und dass über alles in der Welt nur Bürokratie und Business entscheiden. Menschen wollen, dass ihre Stimmen erhört werden, dass sie nicht ungeachtet bleiben und dass sie an den Entscheidungen teilnehmen können. Sie brauchen neue Mechanismen, die ihnen die Möglichkeit geben, den politischen Prozess sowie die Parteipolitik, die sie unterstützen, zu beeinflussen.

Politische Kräfte, die wie soziale Netzwerke organisiert sind, können das den Wählern ermöglichen. Es liegt nahe, dass solche Bewegungen Masseninteresse und Anerkennung finden werden. Gerade sie können zur Haupttriebkraft der sozialen Reformen und neuen Modernisierung werden.

Netzdemokratie ist in der Lage, Parteien von Bürokratie und Lobbyismus zu befreien und sie noch attraktiver und demokratischer im Vergleich zu traditionellen, autoritären Organisationen zu machen. Diejenigen linken Parteien, die die Möglichkeit des inneren Organisationsaufbaus nach den Prinzipien der unmittelbaren direkten Demokratie ignorieren werden, verlieren nicht nur Wählervertrauen, sondern demonstrieren auch eine Verachtung den eigenen demokratischen Ideologieprinzipien gegenüber.

Igor Eidman ist 1968 in Russland geboren worden. Nach der Ausbildung als Historiker hat er sich als Soziologe und Experte auf dem Gebiet der Internet-Soziologie und der Entwicklung von Sozialen Netzen (social Networks) einen Namen gemacht. Er ist Autor einer bekannten konzeptuellen Forschungsarbeit über theoretische Soziologie und soziale Geschichte. Der Titel lautet: "Der Durchbruch in die Zukunft. Soziologie der Internet-Revolution". In seinen Artikeln und Vorträgen analysiert er die soziale und politische Folgen der Internetentwicklung und der Entwicklung von sozialen Netzen. Ferner beschäftigt er sich auch mit der praktischen Verwirklichung von Projekten für politische Sozialnetze sowie für Konsum-Sozialnetze. Seit Mitte 2009 wohnt er in Deutschland in Leipzig.

In den nächsten Tagen Wochen werden wir im unregelmäßigen Abstand auf vorwärts.de Meinungsbeiträge, Interviews und Hintergrundberichte zum Thema Netzpolitik veröffentlichen, um die Debatte in- und außerhalb der Sozialdemokratie voranzubringen. Wer Interesse hat, selber einen Beitrag zu veröffentlichen, meldet sich bitte bei der Redaktion.

In den nächsten Tagen Wochen werden wir im unregelmäßigen Abstand auf vorwärts.de Meinungsbeiträge, Interviews und Hintergrundberichte zum Thema Netzpolitik veröffentlichen, um die Debatte in- und außerhalb der Sozialdemokratie voranzubringen. Wer Interesse hat, selber einen Beitrag zu veröffentlichen, meldet sich bitte bei der Redaktion. Prinzipien der Internet-Demokratie Erläuterung von Igor Eidman Netzdemokratie basiert auf der unmittelbaren Willenserklärung der Bürger und wird durch moderne Online-Technologien (vor allem durch das Internet) unterstützt. In der repräsentativen Demokratie sind folgende Prinzipien der Stimmenabgaben bekannt, hier gilt der sog. Dreisatz: allgemeines Wahlrecht, geheime Abstimmung und Wahlgleichheit. Bei der Netzdemokratie kommt neben der technischen Möglichkeit hinzu, dass Bürger nicht nur ihre Repräsentanten wählen, sondern auch eigene Interessen und politische Anschauungen vertreten und an dem Entscheidungsprozess ohne Vermittler teilnehmen können. Das Hauptprinzip der Netzdemokratie ist dass jeder Mensch eine Möglichkeit haben soll, unmittelbar an dem Entscheidungsprozess online und in der Gemeinschaft, die er angehört, teilzunehmen. 1. Das Recht auf eine unmittelbare Mitwirkung bei dem Entscheidungsprozess Jedes Gemeinschaftsmitglied besitzt ein Benutzerkonto (auf Wunsch auch ein Blog) in einem bestimmten Netzwerk und das Recht, an allen die kollektive Entscheidungen betreffenden Abstimmungen, teilzunehmen. Eine Entscheidung liegt vor, wenn die Mehrheit der positiven Stimmen vorliegt oder wenn die Mehrheit der Gemeinschaftsmitglieder ihre Stimmen innerhalb der dafür vorgesehenen Frist abgegeben hat. 2. Das Recht auf Widerrufen von Entscheidungen Beim Vorliegen einer Mehrzahl von Stimmen, können Gemeinschaftsmitglieder jederzeit eine Entscheidung widerrufen oder den von ihnen gewählten Vertreter abwählen. Für diesen Zweck stellt Gemeinschaft eine elektronische "Mailbox mit schwarzen Kugeln" bereit. Hier sammeln sich die negativen Stimmen an. Ist die Mailbox voll (mehr als die Hälfte der Teilnehmer sind für eine Ablehnung) wird die Entscheidung widerrufen. 3. Gleichberechtigung der Teilnehmer Unter den Teilnehmern gibt es keine Gruppeneinteilung in Wähler oder Vertreter. Die delegierten Befugnisse beschränken sich auf die Ausführung der übertragenen Aufgaben, die durch Abstimmung aller Gemeinschaftsteilnehmer festgelegt werden. Die übertragenen Vollmachten sind auf keinen bestimmten Zeitraum befristet, wie das bei der repräsentativen Demokratie der Fall ist. Sie enden, sobald die Teilnehmer ihrem Vertreter nicht mehr vertrauen und dieser bereits eine kritische Anzahl von "schwarzen Kugeln" besitzt. Sozial-politische Netzbewegung: Nach dem Prinzip der Netzdemokratie können online sowohl eigene Macht- und Kommunalbehörden als auch sozial-politische Netzbewegungen entstehen. Die Bewegung funktioniert wie ein soziales Internet-Netzwerk, dessen Leitung seine Teilnehmer, das sind User mit realen Namen, übernehmen. Echtzeit-Abstimmungen (sowie vorausgehende Diskussionen) im Netz, bestimmen die Strategie und Taktik der Bewegung sowie die Regierung mit deren Kandidaten. Die Einstellung der Parlamentsfraktion gegenüber den vorliegenden Gesetzentwürfen wird durch Abstimmung aller interessierten Teilnehmer bestimmt. Jegliche zu betrachtende gesetzgebende Vorschläge werden zur Abstimmung gestellt. Ferner akzeptiert die Parlamentsfraktion der Bewegung nur die Gesetze, die die Zustimmung der Teilnehmermehrheit finden.

Autor*in
Igor Eidman

Igor Eidman ist 1968 in Russland geboren worden. Nach der Ausbildung als Historiker hat er sich als Soziologe und Experte auf dem Gebiet der Internet-Soziologie und der Entwicklung von Sozialen Netzen (social Networks) einen Namen gemacht. Er ist Autor einer bekannten konzeptuellen Forschungsarbeit über theoretische Soziologie und soziale Geschichte. Der Titel lautet: "Der Durchbruch in die Zukunft. Soziologie der Internet-Revolution". In seinen Artikeln und Vorträgen analysiert er die soziale und politische Folgen der Internetentwicklung und der Entwicklung von sozialen Netzen. Ferner beschäftigt er sich auch mit der praktischen Verwirklichung von Projekten für politische Sozialnetze sowie für Konsum-Sozialnetze. Seit Mitte 2009 wohnt er in Deutschland in Leipzig.

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