Inland

Liberale Moschee – Islamisten bedrohen Berliner Imamin mit dem Tod

Seitdem die Muslimin Seyran Ateş vor rund drei Monaten die liberale Moschee in Berlin eröffnet hat, gedeiht dort eine moderne Auslegung des Islams. Noch steht die Revolution am Anfang, doch sie erzürnt bereits ihre Widersacher. Ateş erhält Morddrohungen.
von Fabian Schweyher · 27. September 2017
Seyran Ateş Liberale Moschee
Seyran Ateş Liberale Moschee

Still liegt die evangelische St. Johannis-Gemeinde in Berlin-Moabit da. Plötzlich fährt ein Wagen vor, Seyran Ateş steigt aus, mit ihr Personenschützer von der Polizei, die rund um die Uhr für ihre Sicherheit sorgen. Gemeinsam schreiten sie zur Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, die auf dem Gelände untergebracht ist. Im dritten Stock öffnet sich hinter einer Tür der Gebetsraum. Durch die Facettenfenster scheint das Licht auf den weißen Stoffboden. Ateş zeigt auf eine Stelle an einer Wand. „Hier wird bald die Gebetsnische stehen“, sagt sie freudig. Diese für den Imam vorgesehene Holzkonstruktion wird schief angebracht, schließlich muss sie nach Mekka ausgerichtet sein. Mit der Nische wächst die liberale Moschee, die erst am 16. Juni eröffnet wurde, wieder um ein Stück.

Verbannt in einen Nebenraum

Als Ateş damals den ersten Gottesdienst hielt, war das öffentliche Interesse riesig. Journalisten drängten sich in dem Raum. Immerhin ist die Moschee in den Augen erzkonservativer Muslime ein Tabubruch. Einer spitzen Nadel gleich piekst das Projekt in eine islamische Welt, die sich rückständig und gewalttätig präsentiert. Während islamistische Gotteskrieger weltweit Menschen massakrieren, breitet sich der Fundamentalismus in Europa aus. Die Zahl der Islamisten und Gefährder nimmt laut Verfassungsschutz in Deutschland von Jahr zu Jahr zu.

In europäischen Städten ist auch die konservative Auslegung des Islams optisch erkennbar: Immer mehr junge Muslimas sind beispielsweise zu sehen, die nicht nur das Haar unter Schleier verbergen. In den Moscheen selbst werden Frauen traditionell in einen Extraraum verbannt.

Ganz anders die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, die nach einem arabischen Philosophen und dem deutschen Dichter benannt ist: In ihrer weltoffenen Auslegung des Islams sind Frauen gleichberechtigt, sie können auch als Imamin fungieren. Eine Geschlechtertrennung gibt es nicht. Muslime jeglicher Strömung beten gemeinsam. Und seit Kurzem leitet ein schwuler Imam aus Frankreich regelmäßig das Freitagsgebet. Genauso sind Angehörige anderer Religionen und Atheisten willkommen. Gepredigt wird nicht auf Arabisch, sondern auf Deutsch.

Die Nase voll

„Wenn ich zurückblicke, frage ich mich, warum wir die Moschee nicht schon vor Jahren eröffnet haben“, sagt Seyran Ateş. „Ich fühle mich täglich bestätigt, wie richtig und überfällig das war.“ Sie erhalte zustimmende Briefe von Muslimen aus der ganzen Welt. Ateş, die sich im Selbststudium zur Imamin ausgebildet hat, ist sich sicher: „Die gesamte islamische Welt hat die Nase voll von der Unterdrückung, der Diskriminierung und der radikalfundamentalistischen Entwicklung.“ Die Menschen wollten Veränderung.

Dass dies längst nicht für alle gilt, bekommt sie tagtäglich zu spüren. Als bekannteste Vertreterin der Moschee wird sie in den sozialen Medien mit Morddrohungen überzogen. Sie könne sie gar nicht mehr zählen, sagt sie. Aber auch auf der Straße sei sie schon angegriffen worden. Daraufhin verstärkte das Landeskriminalamt den Personenschutz für die Rechtsanwältin, die 1984 bei einem Attentat bereits schwer verletzt worden war.

Folgenschwere Diffamierung

Im Juni dieses Jahres wurde die Stimmung angeheizt von der ägyptischen Fatwa-Behörde, die das Projekt verurteilte. Folgenschwerer war allerdings die Diffamierung durch die türkische Religionsbehörde Diyanet, zu auch der Moscheeverband Ditib gehört. Sie warf der Gemeinde vor, zur Gülen-Bewegung zu gehören, die das Erdogan-Regime für den Putsch in der Türkei verantwortlich macht. „Sie können sich vorstellen, was das für viele Türken bedeutet“, sagt Ateş, die 1963 in Istanbul geboren wurde. „Manche kommen nicht mehr in die Moschee, weil sie nicht gesehen werden wollen.“

Trotz der Anfeindungen wachse die Gemeinde. Wie viele Menschen die Moschee aufsuchen, sagt die 54-Jährige nicht. Dafür: „Wir sind eine Revolution, eine Reformbewegung.“ Deswegen könne es nicht auf Anhieb Millionen von Anhängern geben, sonst wäre man ja bereits zwanzig Jahre weiter. Die Frage nach den Zahlen finde sie daher nicht richtig, auch angesichts der Bedrohungen, denen die Gemeindeangehörigen ausgesetzt seien.

Selbstbewusst statt ängstlich

Aus diesem Grund fordert Ateş mehr Unterstützung von der Gesellschaft. „Ich erwarte Haltung gegenüber den Konservativen und den Fundamentalisten.“ Vor allem vermisse sie Solidarität ausgerechnet von Feministinnen und „Linken“, die den Schutz von Minderheiten überhöht hätten. Die Folge: „Das Gros von ihnen unterstützt uns nicht, obwohl sie doch sehen müssten, dass die Konservativen unser liberales Projekt verhindern wollen.“

Ateş plädiert dafür, für konservative Muslime unerträgliche Themen selbstbewusst anzusprechen. Zu schweigen, nur um deren Gefühle nicht zu verletzen, sei falsch. „Wir müssen die sexuelle Revolution, die Homosexualität, die Gleichberechtigung der Frauen lauter thematisieren.“ Von der Politik fordert die 54-Jährige deswegen, dass die liberale Moschee in die Islamkonferenz aufgenommen werde – so erhalte auch der weltoffene Islam eine Stimme.

Weitere Moscheen geplant

Bislang finanziert sich die Moschee aus Spenden. „Wir brauchen Stabilität in der Finanzierung“, sagt Ateş. Sie wünscht sich außerdem mehr Zuwendungen. Mit dem Geld möchte sie weitere Räume anmieten, um den Muslimen der verschiedenen Ausrichtungen ein besseres Angebot machen zu können.

Seyran Ateş, die im Oktober an der FU Berlin „Islamwissenschaften“ studieren wird, denkt aber schon weiter. Bald soll ein Ableger der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Freiburg entstehen, gefolgt von Gotteshäusern in Paris und London. Die konservativen Kräfte im Islam können sich offensichtlich auf etwas gefasst machen, denn die Revolution hat gerade erst begonnen.

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