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Lehrbeauftragte an Hochschulen: „Das ist prekäre Beschäftigung“

Die meisten jungen Akademiker im Hochschulebetrieb haben befristete Verträge, rund 100.000 Lehrbeauftragte arbeiten gar als unterbezahlte Freiberufler. Ein Gespräch mit Simone Raatz, Bildungsexpertin der SPD-Bundestagsfraktion.
von Peter Schraeder · 19. Oktober 2016
Simone Raatz
Simone Raatz

Rund 90 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiter an Hochschulen, die dort hauptberuflich arbeiten, haben befristete Verträge. Welche Probleme ergeben sich daraus?

Die befristeten Verträge sind nicht an sich problematisch. Sie dienen überwiegend der Qualifizierung von Beschäftigten. Problematisch war aber bisher, dass über 50 Prozent aller Verträge eine Laufzeit von unter einem Jahr hatten. Es gibt Beispiele wie das einer jungen Frau, die bis zu ihrer Promotion 27 verschiedene Verträge hatte. Viele junge Menschen tragen das so nicht mehr mit und sehen sich gezwungen, dauerhaft ins Ausland oder in die Wirtschaft zu gehen.

Was hat die Bundesregierung dagegen bisher getan?

Seit April dieses Jahres gilt die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das seit 2007 die befristete Beschäftigung von wissenschaftlichen Mitarbeitern zulässt. Mit der Änderung hat die Bundesregierung festgelegt, dass sich Arbeitsverträge in Zukunft an der Dauer der angestrebten Qualifizierung orientieren. Das heißt, dass ein Arbeitsvertrag die Dauer einer Promotion oder eines Drittmittelprojekts abdecken soll. Außerdem haben Bund und Länder einen Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs beschlossen, um zusätzliche Professorenstellen an universitären Einrichtungen zu schaffen. Dafür stehen ab 2017 eine Milliarde Euro für die Länder zur Verfügung. Das Programm hat eine Laufzeit von insgesamt dreizehn Jahren.

Mit diesem Programm werden allerdings nur 1000 neue Stellen geschaffen. In einem 10-Punkte-Plan stellt die SPD weitere Forderungen auf. Welche?

Die SPD hat von Anfang an gesagt: Mit dem bisher Erreichten ist das Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ noch nicht abgearbeitet. Zukünftig geht es darum, die Grundfinanzierung der Hochschulen zu verbessern. Mit dem Pakt für Forschung und Innovation wird festgelegt, dass sich der Etat für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen – wie etwa für Max-Planck- oder Fraunhofer-Gesellschaft ­– jährlich um drei Prozent erhöht. Für Hochschulen gibt es das nicht, da ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten.

Wie soll die Grundfinanzierung angehoben werden?

Vor rund zwei Jahren hat der Bundestag die Voraussetzung dafür geschaffen, als er das Kooperationsverbot für den Hochschulbereich aufgehoben hat. Seither darf der Bund direkt und dauerhaft Hochschulen finanziell unterstützen. Bisher war dies nur über zeitlich befristete Projektfinanzierung möglich. So ist ein erheblicher Anteil des Geldes vom Bund an Projekte wie den Hochschulpakt gebunden. Wenn diese auslaufen, sollten die Mittel verstetigt für die Erhöhung der Grundfinanzierung herangezogen werden. Wichtig ist, dass diese Erhöhung an  Kriterien wie eine Verbesserung der Personalstrukturen gekoppelt wird, also mehr dauerhafte Verträge geschaffen werden.

Ein weiteres Problem stellt der große Anteil der Lehrbeauftragten dar, die keine ordentlichen Mitglieder der Hochschule sind: oft junge Akademiker, die nur stundenweise für ihre Lehre bezahlt werden, nicht aber für die Vor- und Nachbereitung. Die bundesweit rund 100.000 Lehrbeauftragten sind nicht über ihren Arbeitgeber versichert, mache beziehen zusätzlich Hartz IV. Was will die SPD dagegen tun?

Aus den bisher von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen fallen diese Menschen raus, denn sie arbeiten auf Honorarbasis und haben keinen Vertrag mit der Hochschule. Ursprünglich sollten mit der Einführung von Lehrbeauftragten Experten aus dem Berufsleben an die Universität geholt werden. Doch heute arbeiten in diesem Bereich sehr viele junge und ältere Menschen, die das als ihren Hauptberuf betrachten, der damit im Grunde ihre einzige Einnahmequelle darstellt. Was dann dabei rauskommt, kann man nur als prekäre Beschäftigung bezeichnen. Unsere Forderung ist: Entweder erhalten diese Leute ordentliche Verträge, oder man zahlt ihnen Stundensätze, die vergleichbar mit denen von Festangestellten sind. Nur so können sie von ihrem Beruf leben.

Ein weiterer Schwerpunkt des Papiers ist die Förderung von Frauen in der Wissenschaft. Welche Änderungen wollen Sie hier anstreben?

Wir fordern, das Professorinnenprogramm fortzusetzen und den Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs insbesondere für Frauen zu verwenden. In Zukunft sollen auch Forschungsgruppenleiterinnen in die gezielte Förderung einbezogen werden. Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern, muss die Kinderbetreuung an Hochschulen ausgebaut und flexibilisiert werden. Auch sollten Dual-Career-Paare noch besser unterstützt werden. Dabei geht es darum, auch dem Partner einer Nachwuchswissenschaftlerin ein attraktives Jobangebot in der Region zu unterbreiten.

Welches sind die nächsten Schritte?

Was ich in dieser Legislaturperiode noch erreichen will, ist etwas für die Verbesserung der Situation der Lehrbeauftragten zu tun. Die Forderung nach einer Erhöhung der Grundfinanzierung wird in das SPD-Programm für die Bundestagswahl einfließen und dann in der kommenden Legislaturperiode ein wichtiges Vorhaben, was es umzusetzen gilt.

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Autor*in
Peter Schraeder

studiert Public History an der Fu Berlin.

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