Inland

Leben mit den Kühen

von Susanne Dohrn · 15. November 2012
Martin Schulz in Verdun
Martin Schulz in Verdun

Ich bin Milchbauer. Den Betrieb bewirtschafte ich mit meinen Eltern, meinem Onkel und zusätzlichen Erntehelfern bei Arbeitsspitzen. Der Betrieb umfasst etwa 150 Hektar Land. 90 Prozent sind gepachtet. Wir haben 400 Rinder, davon sind 120 Milchkühe.

Mein Arbeitstag beginnt kurz nach 5 Uhr, egal ob Sommer ist oder Winter, Sonn- oder Feiertag. Die Kühe werden gemolken, gefüttert und die Kälber getränkt. Wir misten aus und streuen ein. Das dauert drei Stunden. Nach dem Melken kommen die Kühe im Sommer auf die Weide, nachts bleiben sie im Stall. Von 8.30 bis 9 Uhr frühstücken wir. 

Danach arbeiten wir auf den Feldern, auf dem Hof und im Stall, unterbrochen von 25 Minuten Mittagspause. Um 15 Uhr holen wir die Kühe zum Melken wieder von der Weide und füttern die Tiere. Alle zwei Tage gegen 18 Uhr wird die Milch abgeholt. Mitte des Monats erhalten wir von der Meierei die Abrechnung für den Vormonat. Erst dann erfahren wir den Preis für unsere Milch. Auch wenn wir Schlachtrinder oder Getreide verkaufen, erfahren wir den Preis erst viel später. Ich glaube, so etwas gibt es fast nirgendwo: dass der Abnehmer den Preis bestimmt, wenn der „Handel“ nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Meine Mutter vermarktet die Eier unserer Legehennen. Die verkaufen wir ab Hof, auf dem Wochenmarkt, an der Haustür, an Gastwirtschaften, Hotels und Altenheime. 

Gegen 19 Uhr essen wir Abendbrot. Dann ist „Feierabend“, wenn nicht eine Ernte ansteht. Vor dem Schlafengehen sehen wir im Stall nach, ob alles in Ordnung ist. Oft leisten wir nachts Geburtshilfe, wenn eine Kuh kalbt. Außerdem bin ich ehrenamtlich aktiv: bei der Freiwilligen Feuerwehr, beim Bundesverband Deutscher Milchviehhalter und als SPD-Stadtrat in Tornesch.

Landwirt ist ein sehr schöner Beruf. Die Arbeit mit und in der Natur ist sehr abwechslungsreich und spannend. Aber finanziell wird es immer schwieriger. Dieses Jahr sind die Kosten für die Pacht um 11 000 Euro und für Diesel um 7000 Euro gestiegen. Wegen der Dürre in den USA hat sich der Einkaufspreis für Kraftfutter fast verdoppelt. Die Preise für unsere Produkte, besonders Milch, liegen dieses Jahr unter denen von 2011. Sollte sich an dieser Situation nicht bald gravierend etwas ändern, müssen wir unseren Betrieb schließen.

Landwirt Ingo Früchtenicht
38 Jahre, lebt in Esingen (Holstein)
Ausbildung: Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt
Status: Selbstständig
Verdienst: 2520 Euro brutto im Schnitt laut Bauernverband
Arbeitszeit: 70 Wochenstunden, Urlaub selten oder gar nicht

Autor*in
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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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