Lauterbach: Frühestens im Herbst Herdenimmunität durch Corona-Impfung
imago images/Sven Simon
Die Bilder gingen in der vergangenen Woche um die Welt: Die 90-Jährige Margaret Keenan aus Coventry wurde als erste Patientin in Großbritannien gegen Covid-19 geimpft. Auch in Kanada und den USA sind bereits erste Impfstoffe zugelassen – die Impfungen haben begonnen. Wie das Nachrichtenmagazin Spiegel berichtet, sollen alleine in den USA gut hundert Millionen Amerikaner*innen bis Ende März zweimal geimpft sein und somit im besten Fall immun gegen eine Corona-Erkrankung. In der Europäischen Union ist bislang noch kein Impfstoff zugelassen.
Lauterbach: „Es wird allerhöchste Zeit“
Voraussichtlich in der kommenden Woche am Mittwoch, 23. Dezember, will die EU-Arzneimittelbehörde (EMA) den Impfstoff des deutsch-amerikanischen Herstellers Biontech/Pfizer EU-weit zulassen. Am 6. Januar könnte die Zulassung eines weiteren Corona-Impfstoffes folgen. Es geht um das Präparat des US-Herstellers Moderna, teilte die Behörde in Amsterdam mit. Das sind sechs Tage früher als zunächst geplant. Für SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist es trotzdem höchste Zeit. „Es wird allerhöchste Zeit. Ich schätze, dass es irgendwann nach Weihnachten sofort los geht, aber noch vor dem neuen Jahr“, sagte er im Interview mit dem „vorwärts“.
Inzwischen ist klar: Voraussichtlich am 27. Dezember sollen mobile Teams in Pflegeheimen mit ersten Impfungen beginnen. „Wir haben durch die späte Zulassung der Europäischen Arzneimittelbehörde Zeit verloren, aber jetzt muss man nach vorne blicken. Die ersten Impfungen in Pflegeeinrichtungen werden noch in diesem Jahr geschehen können – zum Glück!“, so Lauterbachs Einschätzung. Denn insbesondere in Pflegeeinrichtungen nahmen die Corona-Todesfälle in Deutschland zuletzt stark zu. In Berlin war jeder zweite Corona-Tote Pfegeheim-Bewohner*in. In Hessen betrafen im November gar zwei Drittel der Corona-Toten Altenheime.
Zuletzt sorgte in dem Bundesland ein Fall im mittelhessischen Marburg für Aufsehen: Dort waren 39 von derzeit 41 Bewohner*innen positiv auf das Virus getestet sowie 32 Beschäftigte. Zeitweise war das gesamte Personal in der Einrichtung krank geschrieben oder in Quarantäne. Dadurch seien die Bewohner*innen zeitweise sogar komplett unbetreut und medizinisch unterversorgt gewesen.
Breite Bevölkerung erst im Herbst 2021 impfen
Nach Einschätzung von Karl Lauterbach werde es aber noch dauern, bis die Impfungen hierzulande in der breiten Bevölkerung für spürbare Entlastung sorgen werde. „Herdenimmunität durch Impfungen erreichen wir aus meiner Sicht allenfalls im Herbst nächsten Jahres. Wir müssen darauf hoffen, dass der Oxford-Astra-Impfstoff ebenfalls zugelassen wird und wirksam sein kann. Dann haben wir eine Chance, zumindest die Risikogruppen alle bis in den Sommer hinein zu impfen“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete auf Nachfrage des „vorwärts“. Der britisch-schwedische Hersteller AstraZeneca musste seine Impfstoffstudie zeitweise unterbrechen.
Die breite Bevölkerung werde erst im Herbst geimpft werden können, glaubt Lauterbach daher. „Auch diese sind für Neuinfektionen natürlich sehr gefährdet, weil nicht jeder mit Risikogruppen sich impfen lassen wird. Daher werden wir über das gesamte Jahr noch in einer gefährlichen Situation leben“, so die Prognose des SPD-Gesundheitsexperten für das kommende Jahr.
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmar glaubt nicht an eine schnelle Rückkehr zur Normalität. „Die Impfung bietet nach den bisherigen Erkenntnissen den Schutz des Geimpften vor der Erkrankung COVID-19. Über die Infektiosität des Geimpften, also ob er weiterhin ansteckend ist, haben wir leider noch nicht genügend Informationen. Deshalb bleiben – mit oder ohne Impfung – das Einhalten der Hygieneregeln und das Beachten der Kontaktbeschränkungen auch in den nächsten Monaten wichtig“, sagt sie im Interview mit dem „vorwärts“.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo