Lars Klingbeil zum CSD: Für eine offene Gesellschaft – gegen den Rechtsruck
Zum 40. Mal wird in diesem Jahr in Deutschland der Christopher Street Day (CSD) gefeiert. Der Tag, an dem sich 1969 in der New Yorker Christopher Street Homo- und Transsexuelle gegen gewalttätige Polizeirazzien wehrten. Seitdem kämpft die queere Community weltweit mit jährlichen CSD-Demonstrationen gegen Diskriminierung. In Deutschland finden sie in diesem Jahr in 25 Städten statt.
Lars Klingbeil: „Der Kampf geht weiter"
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil lobte am Montag die „gute Tradition“ der Partei, in der Woche des Berliner CSD die Regenbogenfahne vor dem Willy-Brandt-Haus zu hissen. „Wir wollen als SPD mitfeiern, aber auch ein klares Zeichen setzen für die politischen Forderungen“, sagte er vor dem Hissen der Fahne. Trotz großer Erfolge der SPD, wie der Durchsetzung der „Ehe für alle“, gelte: „Der Kampf geht weiter.“
Es gebe Kräfte in Europa und auch in Deutschland, „die versuchen, die politische Debatte nach rechts zu ziehen“. Da werde es auf einmal wieder hoffähig, Minderheiten zu diskriminieren, etwa „Menschen, die anders denken, die anders leben, die anders lieben wollen“. Die SPD werde sich immer dagegen stellen und für eine offene und tolerante Gesellschaft eintreten. „Da ist die SPD der Verbündete all derer, die jetzt beim Christopher Street Day auf die Straße gehen.“ Die Partei wolle den gegenwärtigen Rechtsruck „aktiv verhindern“.
Petra Nowacki: Es ist „nicht alles erledigt“
Petra Nowacki, Bundesvorsitzende von SPDqueer, der Arbeitsgemeinschaft der SPD für Akzeptanz und Gleichstellung, hob im Willy-Brandt-Haus das Motto des diesjährigen CSD „Recht auf Identität, für ein selbstbestimmtes Leben“ hervor. „Als SPDqueer vertreten wir alle Angehörigen der queeren Community“, erklärte sie. Das seien nicht nur Lesben und Schwule, sondern unter anderem auch Intersexuelle, Transgender und Pansexuelle. Für alle diese Menschen wolle man offen sein und für ihre Rechte kämpfen.
Im letzten Jahr seien endlich die Opfer des Paragraphen 175 rehabilitiert worden und die „Ehe für alle“ durchgesetzt worden. Damit sei jedoch „nicht alles erledigt“, betonte Petra Nowacki. Es werde weiterhin nötig sein, für diskriminierte Minderheiten zu kämpfen.
Unsäglicher Rollback in Deutschland
„Was wir gerade erleben, nicht nur in Deutschland sondern weltweit, ist ein unsäglicher Rollback.“ Dazu gehörten wachsender Antisemitismus, verstärkte Frauenfeindlichkeit, zunehmender Rassismus und auch eine stärkere Homo- und Transphobie. „Das werden wir nicht hinnehmen“, zeigte sich Nowacki kämpferisch. „Und wir werden es auch nicht hinnehmen, dass die Gruppen, die von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit betroffen sind, gegeneinander ausgespielt werden. Wir halten zusammen.“
Nowacki betonte die Tradition der SPD, sich für die Menschenrechte von Minderheiten einzusetzen. Als Beispiel nannte sie den Vorkämpfer für Emanzipation Magnus Hirschfeld, der für eine Abschaffung der Paragrafen 175 im Reichstag kämpfte. Dieser Paragraf bestrafte Homosexualität mit Gefängnis. „Es ist und bleibt Tradition der SPD“, so Nowacki. Sie erinnerte an den großen Anteil der SPD an der Abschaffung des Paragrafen 175 sowie an der Durchsetzung des Lebenspartnerschaftsgesetzes und der ‚Ehe für alle‘.
SPDqueer: Änderung von Artikel 3 Grundgesetz
Aktuell sei die Abschaffung des Transsexuellengesetzes besonders wichtig. Es gehe „um die Schaffung eines menschenwürdigen Gesetzes für geschlechtliche Identität“. Nowacki kritisierte „entwürdigende Gutachten“, die die geltende Rechtslage vorschreibe. Auch seien rechtliche Rahmenbedingungen für so genannte Regenbogenfamilien nötig. Diskriminierungen, etwa von lesbischen Frauen bei Stiefkindadoptionen, müssten ausgeschlossen werden. Ganz wichtig sei darüber hinaus die Änderung des Artikel 3 des Grundgesetzes. Dabei geht es um die Erweiterung des Gleicheitsgrundsatzes um die sexuelle Identität. So könne ein konservativer Rollback, etwa eine mögliche Abschaffung der „Ehe für alle“, verhindert werden.
Petra Nowacki dankte der SPD. Die Partei sei, wenn es darauf ankomme, immer an der Seite diskriminierter Minderheiten gestanden und kämpfe für queere Menschen. Dabei lege sie sich hin und wieder auch einmal mit dem Koalitionspartner an, lobte Nowacki. Sie dankte besonders der früheren Bundesfamilienministerin Katarina Barley und der aktuellen Amtsinhaberin Franziska Giffey für ihr Engagement.
Franziska Giffey: Reform des Transsexuellengesetzes
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hatte bereits am Freitag die Regenbogenflagge vor dem Bundesfamilienministerium gehisst. Dabei hob sie die besondere Bedeutung dieses Tages hervor: „Seit 1979 gehen Menschen in diesem Land beim Christopher Street Day auf die Straße und fordern Respekt, Anerkennung und vor allem gleiche Rechte für gleichgeschlechtlich liebende sowie für inter- und transgeschlechtlich lebende Menschen. Wir würdigen heute den langjährigen Einsatz für Gleichberechtigung, Menschenrechte und eine freie Gesellschaft.“
Trotz Erfolgen müsse die Arbeit für gleiche Rechte weitergehen. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum „Dritten Geschlecht“ etwa müsse die Bundesregierung noch dieses Jahr einen weiteren Geschlechtseintrag einführen. Außerdem gehe es um die Reform des Transsexuellengesetzes und das im Koalitionsvertrag vereinbarte Verbot von geschlechtszuweisenden medizinischen Eingriffen.
Gegen Trans- und Homofeindlichkeit
„Für mich steht das Selbstbestimmungsrecht jeder und jedes Einzelnen im Mittelpunkt. Ich sehe keinen Grund, weswegen Menschen vor einem Personenstands- oder Vornamenswechsel zwei Gutachten durchlaufen und in einem so genannten ‚Alltagstest‘ beweisen sollten, dass sie dem ‚Gegengeschlecht‘ angehören“, stellte Franziska Giffey klar. „Über die eigene Geschlechtsidentität kann nur jeder Mensch selbst Auskunft geben. Darum ist auch wichtig, dass Kinder nicht operiert werden, nur um ihr Geschlecht anzugleichen. Ich arbeite dafür, dass das Transsexuellengesetz durch ein modernes Gesetz zum Schutz und zur Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt ersetzt wird.“
In den letzten 20 Jahren sei die gesellschaftliche Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt stetig gewachsen, sie müsse aber immer wieder verteidigt und neu erkämpft werden. Dies zeige beispielsweise die Leipziger „Mitte Studie“ 2016. Der zufolge stimmten 40 Prozent aller Befragten der Aussage zu, es sei „ekelhaft“, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen. Außerdem seien im Zeitraum von Januar 2017 bis zum Januar 2018 rund 300 politisch motivierte Straftaten gegen die „sexuelle Orientierung“ erfasst, insgesamt 161 Tatverdächtige wurden ermittelt. Giffey betonte, das Bundesfamilienministerium werde sich mit dem Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ weiterhin für Projekte gegen Trans- und Homofeindlichkeit einsetzen.