#Landesverrat: Warum Range gegen netzpolitik.org ermittelt
Harald Range (67) ist ein liebenswürdiger älterer Herr und als Generalbundesanwalt zugleich der oberste Terror- und Spionageermittler der Bundesrepublik. Die Grundrechte nimmt er ernst. Schließlich ist er Liberaler, seit Jahrzehnten FDP-Mitglied. Berufen hat ihn einst die FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Nun aber steht er im Feuer. Zahlreiche Politiker fordern seinen Rücktritt. Er habe gezielt Journalisten und ihre Quellen einschüchtern wollen. Immerhin hat er gegen Markus Beckedahl und Andre Meister vom blog netzpolitik.org ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats eingeleitet.
Wie die Affäre ins Rollen kam
Im Februar und April schrieb netzpolitik über 75 neue Stellen im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), die Online-Kommunikation überwachen sollen. Die Veröffentlichung geheimer Daten ärgerte Hans-Georg Maaßen, den Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Er erstattete daher zwei Strafanzeigen, die erste am 25. März und die zweite am 15. April. Er hatte sie vorher mit der Staatsekretärin Emily Haber aus dem Innenministerium abgestimmt. Die Strafanzeigen richteten sich gegen „unbekannt“, also nicht gegen die Journalisten. Sie waren nur zwei Seiten lang, enthielten also nur den Sachverhalt. Maaßen nannte kein konkretes Delikt. Von „Landesverrat“ und „Staatsgeheimnissen“ war in der Strafanzeige nicht die Rede.
Die Strafanzeige ging beim Landeskriminalamt Berlin ein und wurde von dort an den Generalbundesanwalt weitergereicht. Es war also das LKA Berlin, das erstmals die Weichen Richtung „Landesverrat“ stellte. Bei einer „Verletzung von Dienstgeheimnissen“ wäre die Berliner Staatsanwaltschaft zuständig gewesen. Range war jedoch skeptisch. Er fragte deshalb das BfV, ob es sich hier wirklich um Staatsgeheimnisse handelte. Am 5. Mai antwortete der Geheimdienst mit einem Rechtsgutachten: Ja, es gehe um Staatsgeheimnisse, also Gefahren für die äußere Sicherheit Deutschlands.
Ermittlungskonzept mit Folgen
Nun nahm Range einen Anfangsverdacht wegen Landesverrats an und erstellte ein Ermittlungskonzept. Zunächst sollte ein externer (also neutraler) Sachverständiger die von netzpolitik veröffentlichten Dokumente prüfen. Da es sich um ein externes Gutachten handelte, meinte Range, er müsse hierfür ein förmliches Ermittlungsverfahren eröffnen. Zugleich ordnete er an, dass bis zum Eingang des Gutachtens keinerlei weitere Ermittlungsmaßnahmen, etwa Durchsuchungen, gegen die Journalisten vorgenommen werden sollten. Mitte Mai hat die Bundesanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats dann eingeleitet. Am 19. Mai, also anschließend, wurde darüber das Bundesjustizministerium informiert. Der Abteilungsleiter Strafrecht Hans-Georg Baumann und die Staatsekretärin Stefanie Hubig kümmerten sich um den Fall. Auch Minister Maas wurde alsbald informiert.
Unklar ist, was dann konkret passierte. Wurde Range eindeutig signalisiert, er solle besser die Finger von dieser Sache lassen? Oder gab es nur vage Bedenken ohne fundierten juristischen Gehalt? Range jedenfalls fühlte sich weder gestoppt noch gewarnt, sondern verfolgte seinen Plan weiter. Er suchte nun einen externen Sachverständigen, was nicht einfach war. Als er einen Experten für Staatsgeheimnisse gefunden hatte, brauchte dieser aber mehr Zeit als erwartet.
Nachricht an die beiden Betroffenen
Nun entstand ein Problem mit der Verjährung, die bei Straftaten von Journalisten deutlich verkürzt ist. Zwar ist der Landesverrat ein Verbrechen und da gilt auch nach dem hier anwendbaren Berliner Pressegesetz eine Verjährung von einem Jahr. Die (fahrlässige) „Preisgabe von Staatsgeheimnissen“ ist aber nur ein Vergehen mit einer halbjährigen Frist. Hier drohte also tatsächlich Verjährung, falls das Gutachten erst im Oktober vorliegt. Range entschied daher, die Verjährung zu unterbrechen und wählte dafür das mildestmögliche Mittel: eine Nachricht an die beiden Betroffenen, dass gegen sie ermittelt wird. Diese Information ging den Journalisten am 30. Juli zu und sorgte erst für die gewaltige öffentliche Aufregung.
Das Justizministerium, das hiervon nicht vorab unterrichtet war, wurde von der geballten Empörung kalt erwischt. Am nächsten Tag teilte Minister Maas in einem kurzen Statement mit, er habe Zweifel daran, ob es sich hier um ein Staatsgeheimnis handele. Er kündigte an, das Ministerium werde „dem Generalbundesanwalt dazu zeitnah eine eigene Einschätzung übermitteln“. Das klingt nicht so, als sei bisher viel kommuniziert worden. Der Ablauf macht aber klar, dass Range jedenfalls keine Journalisten einschüchtern wollte.