Länder-Gesundheitsminister*innen: Was im Corona-Herbst wichtig wird
IMAGO/Christian Ohde
Im vergangenen Jahr versprach Karl Lauterbach einen „super Sommer“. Dieses Jahr rollt eine Corona-Sommerwelle über Deutschland hinweg. Wie groß ist Ihre Sorge für die kommenden Wochen?
Es stimmt: Wir stecken mitten in einer Sommerwelle, ausgelöst durch die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5. Die Inzidenzen steigen von Tag zu Tag. Hinzu kommt eine immense Dunkelziffer. Leider macht sich das auch auf den Intensivstationen wieder mehr und mehr bemerkbar. Wir beobachten die Hospitalisierungsrate sehr genau. Viele Erkrankte klagen über recht starke Symptome, vor allem die Ungeimpften. Insofern ist meine Sorge schon recht groß, wie es in den kommenden Wochen weitergeht. Noch größer ist sie allerdings für den Herbst, weil dann auch bei vielen der Impfschutz nachlässt.
Parallel dazu sind Ende Juni die kostenlosen Corona-Tests ausgelaufen. Der Bund sagt, weil sich die Länder nicht an der Finanzierung beteiligen wollten. Warum nicht?
Die Bürgertests waren immer Aufgabe des Bundes. Deshalb hat er auch einen Vertrag mit der bundeskassenärztlichen Vereinigung geschlossen, der die Abrechnung regelt. Was man nicht vergessen darf: Die Länder bezahlen alle Tests in Kitas, Schulen und der Landesverwaltung und Polizei zu hundert Prozent selbst. Seit Beginn der Pandemie haben wir dafür allein in Sachsen-Anhalt mehr als 102 Millionen Euro ausgegeben. Auch an der Ausstattung der Impfzentren haben sich die Länder finanziell zu 50 Prozent beteiligt. Mehr können wir nicht leisten, zumal wir davon ausgehen, dass ab Herbst wieder verstärkt in Kitas, Schulen und der Verwaltung getestet werden muss.
Hätten Sie es sinnvoll gefunden, wenn der Bund weiter die Kosten getragen hätte, die Corona-Tests also generell kostenfrei geblieben wären?
Ich kann den Bund verstehen, wenn er sagt, dass diejenigen, die privat eine Veranstaltung, ein Konzert oder eine private Feier besuchen wollen, auch einen Teil der Kosten für den Corona-Test vorab bezahlen. Drei Euro für die Sicherheit, sich und andere nicht zu gefährden, halte ich hier für gerechtfertigt.
Vor wenigen Tagen hat der Sachverständigenrat seine Analyse der bisherigen Corona-Maßnahmen vorgelegt. Welche Lehren lassen sich daraus aus Sicht der Länder für den Herbst ziehen?
Das Gutachten des Sachverständigenrats stellt den Basisschutzmaßnahmen wie der FFP2-Maske und den Hygienebestimmungen ja durchaus ein gutes Zeugnis aus. Deshalb hat die Gesundheitsministerkonferenz noch am selben Tag als das Gutachten vorgestellt wurde, einstimmig beschlossen, dass die Möglichkeit, diese Maßnahmen für Innenräumen festzulegen, weiter bestehen sollte. Maskenpflichten und Abstandsgebote in Innenräumen bleiben notwendig und sinnvoll. In bestimmten Fällen werden wir auch weiterhin Testpflichten brauchen, verstärkt mit Blick auf den Herbst. In jedem Fall brauchen wir dann einen rechtssicheren Handlungsrahmen, damit wir in der Lage sind, flexibel auf das Infektionsgeschehen zu reagieren.
Die Gesundheitsministerkonferenz hat den Bund deshalb dazu aufgefordert, noch vor der Sommerpause ein neues Infektionsschutzgesetz vorzulegen. Das ist nicht passiert. Droht Deutschland nun unvorbereitet in den Corona-Herbst zu gehen?
Wenn das Infektionsschutzgesetz Ende September ausläuft, können wir nur noch Maßnahmen empfehlen, nicht mehr anordnen. Das wäre bei allen Prognosen, die ich kenne, fatal. Leider wird es immer mehr zum politischen Kalkül, notwendige Entscheidungen aufzuschieben und die Empfehlungen der Wissenschaft, was jetzt geboten ist, nicht ausreichend erst zu nehmen. Gerade die FDP beharrt wohl auf einem Gesetzentwurf erst nach der Sommerpause. Der Gesundheitsministerkonferenz war ein Gesetzentwurf vor der Sommerpause auch deshalb wichtig, weil wir ihn gern im Bundesrat vernünftig beraten hätten und das Gesetz nicht wieder nur in einer Hauruck-Aktion beschließen wollen. Karl Lauterbach und Marco Buschmann wollen einen Gesetzentwurf nun offenbar zumindest noch im Juli im Kabinett vorstellen. Ich bin gespannt.
Was muss aus Sicht der Länder auf jeden Fall in dem Entwurf stehen?
Wir gehen nicht davon aus, dass es Schließungen in größerem Umfang geben wird. Das wollen wir vermeiden. Das Offenhalten von Bildungseinrichtungen muss oberste Priorität haben. Einen Lockdown wie in den vergangenen Jahren kann ich mir nicht vorstellen. Es muss aber die Möglichkeit geben, Personenobergrenzen festzulegen oder Zugangsbeschränkungen nach Impf- bzw. Genesenenstatus oder Testnachweis. Auch die Möglichkeit einer Maskenpflicht sollten wir aufrechterhalten.
In welchen Situationen tragen Sie zurzeit noch Maske?
Immer dann, wenn viele Menschen zusammenkommen: bei Veranstaltungen in Innenräumen, aber auch beim Einkaufen, obwohl das meist mein Mann erledigt. Für mich bietet die Maske großen Schutz bei sehr geringer Einschränkung. Deshalb trage ich sie auch dann, wenn es keine Pflicht ist, auch wenn ich inzwischen manchmal schief angeguckt werde.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.