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Kurt Beck zur Vermögensteuer: „Es geht um die Balance in der Gesellschaft“

Jahrzehnte ist es her, dass in Deutschland die Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt wurde. Seither steigt das Vermögen vor allem bei den Reichen, sagt Kurt Beck, Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. Doch das ist nicht das einzige Problem, sagt der ehemalige SPD-Parteivorsitzende.
von Benedikt Dittrich · 24. September 2019
Vermögen ist in Deutschland ungerecht verteilt - und der Unterschied steigt rasant, sagt FES-Vorsitzender Kurt Beck.
Vermögen ist in Deutschland ungerecht verteilt - und der Unterschied steigt rasant, sagt FES-Vorsitzender Kurt Beck.

In Deutschland gibt es seit über 20 Jahren keine Vermögensteuer mehr. Warum ist sie jetzt nötig?

Wir haben in dieser Zeit eine deutliche Erhöhung der Vermögen beobachtet, vor allem bei den oberen zehn Prozent der Bevölkerung. Diese Entwicklung gibt es seit Jahren weltweit, in Deutschland nehmen diese oberen Vermögenswerte aber besonders rasant zu. Während das Vermögen, das aus Arbeit entsteht, nur sehr gering steigt oder sogar stagniert, gibt es bei den höchsten Vermögen eine deutliche Kurve nach oben. Während also mehr Vermögen angehäuft wurde, ist der finanzielle Beitrag, den diese Schicht für die Gesellschaft leistet, gleich geblieben.

Inwiefern ist das ein Problem?

Dort, wo solche schroffen Vermögensunterschiede bestehen und anwachsen, gibt es negative Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem. Wenn die Belastungen ungleich verteilt sind, sinkt die Nachfrage in der Mitte und am unteren Rand der Gesellschaft. Menschen mit geringen oder mittleren Einkommen investieren und konsumieren also weniger. Im oberen Bereich wird aber deswegen nicht mehr konsumiert. Dort gilt: Was sie brauchen, haben sie schon gekauft. Wir belasten also auch aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Falschen, es geht nicht nur um Gerechtigkeit.

Wenn wohlhabende Menschen aber weniger belastet werden, könnten sie ihr Vermögen doch besser investieren und so mehr Jobs schaffen?

Das gilt sicher für Vermögen, das in Unternehmen eingesetzt wird. Für den großen Bereich der Privatvermögen spielt das aber keine Rolle. Insofern ist das ein vorgeschobenes Argument, genau so wenig wie die Debatte um die Vermögensteuer eine Neid-Debatte ist. Es geht um die Balance in der Gesellschaft. Unser Grundgesetz sagt ausdrücklich: Eigentum verpflichtet. Die Besteuerung soll nach der Leistungskraft erfolgen und das ist nicht mehr der Fall in Deutschland.

Was machen denn andere Länder anders oder besser?

Auf jeden Fall haben wir in keinem Land eine so niedrige Besteuerung auf hohe Vermögen und Einkommen. Selbst in den USA werden leistungslose Vermögen, also Erbschaften etwa, anders besteuert als bei uns.

Würde ein höherer Spitzensteuersatz daran auch etwas ändern?

Ja, natürlich. Darüber wird ja derzeit auch diskutiert. Wenn man für 90 Prozent der Bevölkerung den Solidaritätszuschlag abschafft, ist das ja genauso eine Frage: Wen entlastet man, wer leistet zumindest in bescheidenen Größen einen höheren Beitrag?

Wieviel Prozent Vermögensteuer sind denn noch zumutbar, wo zieht man die Grenze?

Wir diskutieren momentan über eine Vermögensbesteuerung von 1 oder 1,5 Prozent. Es geht um die ganz hohen Vermögen, nicht um die Menschen, die sich ein Häuschen gebaut haben oder sich Rücklagen geschaffen haben für die Ausbildung der Kinder oder für die Absicherung im Alter. Wir müssen hohe Beträge ansetzen, damit wir die nicht doppelt besteuern.

„Es muss gegengesteuert werden"

Wie stehen denn die Chancen jetzt, nach über 20 Jahren, dass die Steuer wieder eingeführt wird?

Die wachsende Ungleichheit wird größer und es muss gegengesteuert werden. Sonst laufen wir irgendwann in die Verfassungsfrage hinein, ob unser Steuersystem noch Leistungsgerecht ist. Natürlich wollen die Konservativen ihre Klientel schützen, die FDP noch mehr, das ist deutlich zu sehen, wenn man die Debatte der vergangenen Jahre betrachtet. Aber wir dürfen uns von den Tricksern nicht ins Bockshorn jagen lassen.

Wo wird denn bei der Diskussion getrickst?

Die Gegner der Vermögensteuer nehmen beispielsweise das Durchschnittsvermögen aller Bürger in Deutschland als Rechnungswert. Stattdessen muss man aber Vermögen und Steuerbelastung miteinander vergleichen, um die Unterschiede zu sehen. Außerdem werden die Renten oft als Kapitalwert berechnet. Das ist aber nur Theorie, denn wer frühzeitig stirbt, verliert in diesem Sinne sein ganzes Vermögen. Das sind aberwitzige Vergleiche.

Andererseits sind die Steuereinnahmen in der Bundesrepublik doch auf einem hohen Niveau – ist eine Vermögensteuer also überhaupt nötig?

Der Bedarf ist ja da: Die öffentliche Infrastruktur zerfällt, wir brauchen Impulse im Bildungssystem, wir haben im Pflegebereich höhere Bedarfe. Da muss jeder einen angemessenen Beitrag leisten. Es geht aber vor allem um politische Vernunft: Um die Stabilität in unserer Gesellschaft zu erhalten, dürfen die Menschen in der Mitte der Gesellschaft nicht das Gefühl haben, dass sie zu Lasteneseln degradiert werden. Das können wir uns nicht leisten.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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