Ausgebrannte Altenpfleger, schlecht bezahlte Leiharbeiter, ungleich entlohnte Frauen – die Probleme auf dem Arbeitsmarkt sind vielfältig, die SPD will alle anpacken.
Eigentlich wollte Martin Wieth Maschinenbau studieren. Doch während der Zivildienstzeit in einem Seniorenpflegeheim stellte er fest: „Diese Arbeit macht mir Spaß, ich komme gut mit den Bewohnern zurecht und bekomme Anerkennung von den Kollegen.“ Wieth ließ sich zum examinierten Altenpfleger ausbilden und arbeitete drei Jahre in dem Beruf. Dann kam die Ernüchterung: Nicht wegen des schmalen Gehalts (1643 Euro brutto als Einstieg) oder des Schichtdienstes. Der stetige Zeitdruck, unter dem die Pflegekräfte standen, belastete ihn zunehmend. „Bis zu 35 Bewohner müssen im Frühdienst von drei bis vier Mitarbeitern versorgt werden – im Nachtdienst sogar bis zu 130 Bewohner von zwei Pflegekräften“, schildert der heute 27-Jährige.
Zwischenmenschliches bleibt auf der Strecke
Im Eiltempo müssen die Hilfe- und Pflegebedürftigen deshalb gewaschen, gekleidet und beim Essen unterstützt werden. „Den Bewohnern schadet das“, sagt Wieth. Nicht nur, weil Zwischenmenschliches auf der Strecke bleibt. Wer eine Demenzerkrankung hat, und das ist beinahe jeder Zweite, reagiert besonders empfindlich auf Stress. Pflege soll eigentlich vorhandene Fähigkeiten fördern. „Aber wenn es 15 Minuten dauert, wenn sich der Bewohner die Zähne putzt und drei wenn ich das tue, dann hat man als Pfleger keine Wahl“, berichtet Wieth. „Neben den physischen werden die psychischen Belastungen in der Pflege immer noch unterschätzt“, ist seine Erfahrung.
Dabei würde es vielen Kollegen wie ihm gehen: „Nach der Theorie und Euphorie während der Ausbildung folgt die enttäuschende Realität im Pflegealltag.“ Immer mehr Pfleger leiden an Burnout. Martin Wieth arbeitet immer noch im Pflegeheim, inzwischen aber als Betriebsrat. Außerdem ist er in seiner Freizeit in der Gewerkschaft aktiv, „um die Arbeitsbedingungen für die Kollegen und damit die Pflege für die Bewohner zu verbessern“.
SPD will Sozialtarifvertrag für Pflegepersonal
Die SPD hat die Probleme erkannt: „Zu wenig Pfleger für viele Patienten, zu wenig Geld und Anerkennung für das Personal und eine nicht fallgerechte Abrechnung über die Pflegeversicherung“, fasst Parteichef Sigmar Gabriel zusammen. Abhilfe soll durch mehrere Veränderungen geschaffen werden: einen Sozialtarifvertrag für Pflegepersonal, Lohnerhöhungen und Mindestpersonalschlüssel in den Einrichtungen. Denn Menschen wie Martin Wieth werden dringend gebraucht in einer älter werdenden Gesellschaft und sollen nach Vorstellung der SPD für ihre Arbeit Lohn und Anerkennung erhalten.
»Tarifbindung im Sinkflug«
Doch nicht nur im Pflegebereich vermissen Arbeitnehmer Respekt und faire Löhne. Deutschland ist in Europa das Land mit dem größten Niedriglohnsektor. Fast sieben Millionen Menschen verdienen weniger als 8,50 Euro pro Stunde. 1,4 Millionen Menschen müssen sogar mit einem Stundenlohn von unter fünf Euro auskommen. Leiharbeiter werden in manchen Bereichen trotz gleicher Qualifikation bis zu 40 Prozent schlechter bezahlt als die Stammbelegschaft. Und in Branchen, wo für Leiharbeiter tarifliche Mindestlöhne gelten, unterlaufen Arbeitgeber diese zunehmend durch Konstruktionen mit Werkverträgen.
„Wir brauchen einen Richtungswechsel“, fordert SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Die Tarifbindung in Deutschland befinde sich im Sinkflug, kritisiert er. Die SPD plant, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro einzuführen. Damit stellt sie sich klar gegen das Konzept der Lohnuntergrenzen von CDU und CSU. Denn die Lohnuntergrenzen sollen nur in Bereichen greifen, in denen es keine Tarifverträge gibt. Wer einen Tariflohn unter 8,50 Euro bekommt, ginge dabei leer aus.
Gleiche Löhne per Gesetz
Mit einem Entgeltgleichheitsgesetz will die SPD gleiche Löhne für Männer und Frauen durchsetzen. Noch immer verdienen Frauen im Durchschnitt 22 Prozent weniger für die gleiche Arbeit als ihre männlichen Kollegen. Angeglichen werden sollen durch das Gesetz auch die Löhne von Stammbelegschaften und Leiharbeitern. Werkverträge sollen gesetzlich genauer definiert werden, außerdem sollen Betriebsräte künftig über die Einführung von Leiharbeit und Werkverträgen im Unternehmen mitentscheiden. Befristete Verträge soll es künftig nur noch sachlich begründet geben. Denn vor allem junge Menschen werden oft nur befristet eingestellt. Eine Familie zu planen, fällt ihnen schwer.
Lohndumping stoppen
„Respekt vor harter Arbeit erfordert Kurskorrekturen“, begründet Thorsten Schäfer-Gümbel die geplanten Maßnahmen. Der SPD-Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl will nach einem Wahlsieg auch auf Landesebene dazu beitragen, Lohndumping zu stoppen. Zum Beispiel durch ein Tariftreuegesetz: Damit dürfte das Land öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, die nach Tarif bezahlen.
arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.