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Kriminalstatistik 2017: Warum Kinderschutz wichtiger ist als Datenschutz

Missbrauch, sexuelle Übergriffe, Tötungsdelikte: Immer mehr Kinder kommen gewaltsam zu Tode. Die größte Gefahr bei sexuellem Missbrauch birgt das Internet.
von Johanna Lehn · 5. Juni 2018
Vorstellung der Kriminalstatistik 2017
Vorstellung der Kriminalstatistik 2017

„Jede Woche werden mindestens zwei Kinder Opfer eines Tötungsdeliktes. Täglich werden fast 50 Kinder misshandelt oder sexuell missbraucht“, sagt der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) Holger Münch bei der Präsentation der Kriminalstatistik zu kindlichen Gewaltopfern. „Und das sind nur die Fälle, die der Polizei bekannt werden.“

Mangelnde Aufklärung

Über 140 Kinder und Jugendliche wurden im vergangenen Jahr gewaltsam getötet, mehr als Dreiviertel nicht einmal im Schulalter, berichtet Münch. Das sei ein Anstieg von 7 Prozent zum Vorjahr. Über 4.200 Misshandlungen dokumentiert die Statistik für das vergangene Jahr. Jörg Fegert, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Ulm, macht deutlich, dass es sich dabei nur um die aufgeklärten Fälle handelt. Die Dunkelziffer sei so hoch wie das Saarland Einwohner habe – fast eine Million.

13.500 Fälle sexueller Gewalt wurden 2017 registriert. Das Internet spielt dabei eine große Rolle, sagt Münch. Die Polizei sehe sich bei der Aufklärung dieser Straftaten allerdings großen Hindernissen gegenüber. „Es ist noch immer schwer erträglich, dass wir über keine ausreichende Vorratsdatenspeicherung verfügen, um mehr Fälle aufzuklären“, sagt der BKA-Präsident. Deshalb könnten mehr als die Hälfte strafrechtlicher Hinweise nicht verfolgt werden.

„Ermittlungsinstrumente schärfen“

Defizite in der personellen und technischen Ausstattung sieht Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe e.V. Er kritisiert Sparmaßnahmen. „Jugendämter können nur so gut sein, wie sie personell und finanziell ausgestattet sind“, beklagt er. Sie seien teilweise „kleingespart“ worden. „Was betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint, kann ethisch fragwürdig sein“, sagt Becker.

Auch Johannes-Wilhelm Rörig, Beauftragter der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, hält Investitionen für nötig: „Wir müssen dringend die Ermittlungsinstrumente schärfen, das heißt personell und technisch aufstocken.“ Außerdem fordert er die bundesweite Einführung des Unterrichtsfaches Medienkompetenz von der ersten bis zur zehnten Klasse.

Kinderschutz vor Datenschutz

Neben der Prüfung einer verfassungskonformen Vorratsdatenspeicherung spricht sich Rörig zudem dafür aus, dass Internetanbieter gesetzlich verpflichtet werden, sexuellen Missbrauch zu melden. Die USA seien in dieser Hinsicht ein positives Vorbild. In der aktuellen Debatte müsse eins klarwerden: „Datenschutz darf nicht über Kinderschutz stehen.“

Autor*in
Johanna Lehn

studiert Politikwissenschaft und Soziologie und schreibt für den „vorwärts“.

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