Krawalle in Bautzen: Hausarrest ist keine Antwort auf rechte Gewalt
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Wenn sich der Nachwuchs streitet, kann das den Eltern ganz schön auf die Nerven gehen. Die Kinder ziehen sich an den Haaren, keifen, kratzen, treten – bevor die Situation eskaliert, müssen die Erziehungsberechtigten einschreiten: „Schluss jetzt!“ schreit die Mutter. „Jeder geht auf sein Zimmer!“ ruft der Vater. Die Verteidigungslinie der Kinder ist nicht selten so einfach wie vorhersehbar: „Ich hab’ nicht angefangen!“
Rechte Gewalt: Kein harmloser Streit
Was wir in den vergangenen Wochen und Monaten in Deutschland erleben, ist damit freilich nicht zu vergleichen: Mit roher Gewalt gehen militante Neonazis, teilweise angefeuert von ganz normalen Bürgern, gegen Flüchtlinge vor – gegen Männer, Frauen und Kinder, die in Deutschland Zuflucht suchen. Harmlos ist daran überhaupt nichts. Und doch wird das Problem kleingeredet – von Anwohnern, Bürgermeistern, Polizisten.
Als diese Woche die Gewalt im sächsischen Bautzen – wieder einmal – eskalierte, war es nicht anders. Es sei zu „Auseinandersetzungen“ zwischen jungen Deutschen und minderjährigen Geflüchteten gekommen, erklärte die Polizei. In Wirklichkeit waren es wohl zwanzig junge Flüchtlinge, denen rund 80 Rechtsradikale gegenüberstanden. Letztere seien „relativ eventbetont“ gewesen, sagte Uwe Kilz, Chef der Bautzener Polizei – als seien die Rechten für ein Volleyball-Turnier angereist. Die Neonazis hätten bereits „dieses und jenes Maß Bier getrunken“, so der Polizeichef. Trotzdem: Die Gewalt sei von den 15 bis 20 alkoholisierten Flüchtlingen ausgegangen. Stimmt, sagen die Rechten bei Facebook: „Wir haben nicht angefangen!“
No-Go-Areas: Dresden, Bautzen, Rostock
Die Konsequenzen aus der Krawallnacht vom Mittwoch müssen nun als erstes die Geflüchteten tragen. Für sie soll in Bautzen laut Medienberichten ab 19 Uhr eine Ausgangssperre verhängt werden – außerdem ein Alkoholverbot. Die rechtsextremen Event-Fans dürfen wohl weiter trinken. Bautzen soll deutsch bleiben, fordern sie – und kommen mit der Ausgangssperre ihrer Forderung jetzt ein Stück näher. Auch in anderen ostdeutschen Städten können die rechten Proteste Erfolge verbuchen: Im Rostocker Stadtteil Groß Klein stoppten sie die Eröffnung einer Asylunterkunft, in Dresden gehört der Montagabend seit Längerem den Pegida-Anhängern – tätliche Angriffe auf Migranten und Linke inklusive.
Nicht selten wird vor allem in den Kleinstädten das Nazi-Problem bagatellisiert, rassistische Gewalt als „Jungen-Streich“ abgetan. Die Bürgermeister sind oft um den Ruf der Stadt besorgt, wollen keine schlechte Publicity – und spielen den Neonazis damit in die Hände. Muss ein Fußballspiel abgebrochen werden, weil es auf der Tribüne zu antisemitischen Ausfällen kommt, heißt es danach: Streit zwischen rivalisierenden Fans. Beschwert sich jemand über rassistische Diskriminierung, lautet die Antwort allzu oft: Stell dich nicht so an.
Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem
Rassismus muss endlich als ein gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt werden. Es geht beim Kampf gegen rechts nicht um den Ausgleich von Partikularinteressen: Wenn Neonazis aufmarschieren und sich mit jungen Migranten prügeln, ist das kein Streit zwischen Jugendlichen auf dem Schulhof, der mit Hausarrest und Alkoholverbot für Flüchtlinge zu beantworten ist. Wer auf den Aufmarsch betrunkener Neonazis mit Ausgangssperren für Flüchtlinge reagiert, verkennt den Ernst der Lage: Nicht die minderjährigen Flüchtlinge sind eine Bedrohung für unsere Demokratie – sondern die organisierten Neonazis. Mit elterlichen Disziplinierungsmaßnahmen wie „Geh auf dein Zimmer!“ ist es deshalb nicht getan.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.