Inland

Krankenhausreform: Warum Karl Lauterbach die Fallpauschalen abschafft

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kündigt eine „Revolution“ in der Gesundheitsversorgung an: Krankenhäuser sollen künftig Teil der Daseinsvorsorge werden, in denen Medizin entscheidet, nicht die Ökonomie.
von Vera Rosigkeit · 6. Dezember 2022
Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gehören Krankenhäuser zur Daseinsvorsorge, die eine garantierte Finanzierung brauchen
Für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gehören Krankenhäuser zur Daseinsvorsorge, die eine garantierte Finanzierung brauchen

Die Krankenhausversorgung in Deutschland wird künftig nach medizinischen und nicht mehr nach ökonomischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, wurde in den vergangenen Jahren von Lobbygruppen hartnäckig bekämpft. Doch damit soll jetzt Schluss sein, sagt niemand anderes als Gesundheitsminister Karl Lauterbach und findet in einer Pressekonferenz in Berlin dafür deutliche Worte.

Lobbyverbände sind out

Seine Krankenhausreform werde keine Rücksicht auf Lobbygruppen nehmen. „Es wird keine Rolle spielen, was zum Beispiel einzelne Verbände denken oder was Kassen oder private Träger denken“, betont Lauterbach am Dienstag bei der Vorstellung seiner Reform der Krankenhausfinanzierung. Danach hätten Lobbygruppen bislang keinen Einfluss auf die Entwicklung des Konzepts gehabt und sie „werden definitiv auch keinen Einfluss auf die politische Umsetzung haben“, verspricht der SPD-Politiker.

Dieses Prinzip scheint Früchte zu tragen. Denn die heute von drei Mitgliedern der erst im Mai einberufenen Regierungskommission vorgestellten Empfehlungen seien auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, Fakten und Daten entstanden. „Wir sind in unserem Arbeitsprozess vollständig unabhängig gewesen von Politik – auch des Gesundheitsministeriums ­– aber auch von Verbänden und Organisationen, die ihre Interessen vertreten“, sagt der Leiter der Kommission Tom Bschor. Die aktuellen Berichte von gesperrten Stationen in Krankenhäusern und einem überlasteten Pflegepersonal hätten sie sehr ernstgenommen.

Dabei gebe Deutschland mit 13,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im europäischen Vergleich viel Geld in die Gesundheitsversorgung und finanziere auch überdurchschnittlich viel Personal. „Personal und Geld werden aber durch das Hamsterrad des gegenwärtigen DRG-Systems der Fallpauschalen aufgezehrt“, kritisiert Bschor und weiß dabei aus eigener Erfahrung als Facharzt im Krankenhaus zu berichten. Die Geschäftsführung habe jährlich steigende Fallzahlen gefordert, das, so Bschor, liege in der Logik des DRG-Systems, einem pauschalierten Abrechnungsverfahren, mit dem Patient*innen anhand von medizinischen Daten Fallgruppen zugeordnet werden.

Fallpauschalsystem als Hamsterrad

Damit ist das Hauptproblem der Finanzierung identifiziert und liegt auch nach Aussagen des Gesundheitsministers in den Fallpauschalen und dem sogenannten DRG-System. Sie bilden seit rund 20 Jahren die Grundlage der Vergütung von Leistungen pro Behandlungsfall und zwar unabhängig davon, wie aufwändig die Behandlung ausfällt, erklärt Lauterbach.

Damit dominiere die Ökonomie im Gesundheits- und besonders im Krankenhaussystem, sagt er. Denn „wenn der Preis immer der gleiche ist, mache ich Gewinn, indem ich den Fall möglichst billig behandele“. Das heißt für ihn in der Konsequenz, dass das Fallpauschalsystem eine Tendenz zu billiger Medizin schafft, verbunden mit einem weiteren Problem: Krankenhäuser könnten ihr Budget nur erhöhen, in dem sie mehr Fälle behandeln. Das mache das Hamsterrad aus, betont Lauterbach und kritisiert: „Das Problem ist seit mindestens zehn Jahren bekannt und bisher nie grundsätzlich angegangen worden.“

Krankenhäuser als Teil der Daseinsvorsorge

Das wird sich nun grundlegend ändern, verspricht der SPD-Politiker und kündigt eine Revolution an. Denn das System, Fälle möglichst billig zu behandeln, soll abgeschafft werden. Krankenhäuser sollen zukünftig Teil der Daseinsvorsorge werden, so die Empfehlung der Kommission. Denn Krankenhäuser erbringen täglich eine sogenannte Vorhalteleistung, in dem sie bereitstehen. Diese Vorhalteleistung soll künftig finanziert werden. Fallpauschalen sollen absinken, der ökonomische Anreiz, Behandlungen, um der Behandlungen willen vorzunehmen, werde so gesenkt, erklärt Bschor. Die Vorhaltung soll künftig 40 bis 60 Prozent des Budgets ausmachen. Eine gewisse Ökonomie im System soll jedoch erhalten bleiben.

Was wird sich aus der Perspektive des Patient*innen ändern? Die Menschen könnten sich darauf verlassen, dass Krankenhäuser, die wirklich gebraucht werden, z.B. in ländlichen Gebieten, überleben können, ohne dass sie immer mehr Fälle behandeln müssen, sagt Lauterbach. Das zweite, was sich für Patient*innen ändern wird, ist, dass ökonomische Aspekte keine dominierende Rolle mehr spielen. Es werde behandelt, was medizinisch notwendig sei. Und wenn drittens Spezialeingriffe notwendig würden, könne man sich darauf verlassen, dass sie dort erbracht würden, wo sie besonders gut erbracht würden, erklärt Lauterbach.

Kindermedizin und Geburtshilfe gehen voran

Die Kommission, bestehend aus 17 Expert*innen aus den Bereichen Medizin, Pflege, Ökonomie und Recht, arbeite seit mehreren Monaten an diesen Reformvorschlägen. Die große Reform des Krankenhaussystems sei zugleich ein Schwerpunkt seiner Arbeit auch für die nächsten drei Jahre, sagt Lauterbach. Erste Schritte seien bereits getan, betont er und verweist auf die „Notfallreformen“ in Kindermedizin und Geburtshilfe, in denen die Empfehlung, die Fallpauschalen abzuschaffen, bereits gesetzlich verabschiedet wurde.

Diese Revolution sei auch deshalb nötig, weil immer mehr Pflegekräfte und auch Ärzt*innen derzeit die Krankenhäuser verlassen, „weil sie diesen ökonomischen Druck nicht ertragen wollen“, sagt Lauterbach. Die Arbeit mache vielen Kolleg*nnen keinen Spaß mehr. Lauterbach: „Wir werden mit einer neuen Ausrichtung der Bezahlung dazu kommen, dass mehr Menschen in dem System bleiben wollen, denn wir werden die Babyboomer sonst nicht versorgen können.“

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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