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Kommunalwahl in NRW: Welche Rolle die Integrationsräte spielen

Parallel zur Kommunalwahl werden in Nordrhein-Westfalen auch die Integrationsräte gewählt. Die schwarz-gelbe Landesregierung wollte sie schon abschaffen. Dabei sind sie für viele Migrant*innen die einzige Möglichkeit, sich politisch zu beteiligen.
von Kai Doering · 13. September 2020
Für die politische Beteiligung der Menschen mit Migrationsgeschichte von grundlegender Bedeutung: Mit dem gelben Stimmzettel wird in Dortmund der Integrationsrat gewählt.
Für die politische Beteiligung der Menschen mit Migrationsgeschichte von grundlegender Bedeutung: Mit dem gelben Stimmzettel wird in Dortmund der Integrationsrat gewählt.

„Eigentlich bin ich ja ein absoluter Gegner von Integrationsräten“, sagt Hussien Khedr. Auf die überraschte Reaktion hat der 33-Jährige eine schlüssige Erklärung parat. „Besser wäre es, wenn alle ein kommunales Wahlrecht hätten, egal, welche Staatsbürgerschaft sie haben.“ Bis es soweit ist, seien die Integrationsräte aber „dringend notwendig“ betont Khedr.

1986 in Ägypten geboren, lebt er seit 2011 in Hiddenhausen, einer Gemeinde rund 20 Kilometer nordöstlich von Bielefeld. Bei der Kommunalwahl 2015 begleitete Hussien Khedr einen Freund ins Wahllokal. Der kam aus Griechenland und durfte – als EU-Ausländer – seine Stimme abgeben. Khedr durfte das nicht. „Das hat mich traurig gemacht und auch ein bisschen wütend“, erinnert er sich.

Schwarz-Gelb wollte die Integrationsräte abschaffen

So wie Khedr damals geht es auch heute vielen Menschen in Nordrhein-Westfalen. Wer nicht die deutsche oder die Staatsbürgerschaft eines anderen EU-Landes hat, darf nicht an der Kommunalwahl teilnehmen – egal, wie lange sie oder er bereits in Deutschland lebt. Damit auch sie eine Stimme haben, wurden 1994 die Integrationsräte (damals noch als „Ausländerbeiräte“) als Beratungsgremium in der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung verankert. Eine Kommune muss seitdem einen Integrationsrat wählen lassen, wenn mehr als 5000 Einwohner*innen einen ausländischen Pass haben. Ab 2000 Einwohner*innen kann sich die Kommune freiwillig dafür entscheiden. Gewählt werden sie parallel zur Kommunalwahl.

„Die 107 Integrationsräte in NRW sind für die politische Beteiligung der Menschen mit Migrationsgeschichte von grundlegender Bedeutung“, sagt Tayfun Keltek, der Vorsitzende des Landesintegrationsrats. Für viele sei es die einzige Möglichkeit, „hier ihren politischen Willen zu artikulieren“. Umso heftiger fielen die Reaktionen aus als die schwarz-gelbe Landesregierung 2017 die Gemeinden von der Pflicht, Integrationsräte einzurichten, entbinden wollte. Integrationsstaatsekretärin Serap Güler zog zusätzlichen Zorn auf sich als sie die Gremien in einem Interview als „Kaffeekränzchen“ bezeichnete.

„Die SPD muss die Partei der Migranten sein.“

Nicht nur Migrant*innenorganisationen, sondern auch die SPD liefen damals Sturm. „Die Umsetzung der Pläne der Landesregierung würde die Integrationspolitik unseres Landes zurück in die 1970er Jahre befördern“, schrieb die Landtagsfraktion in einem Antrag zur Beibehaltung der Einrichtungspflicht. „Das Signal an die zum Teil seit Jahrzehnten ehrenamtlich Aktiven in der Integrationsarbeit vor Ort ist fatal.“ Am Ende zog die Landesregierung ihre Pläne zurück.

„Die SPD hat damals super gekämpft“, erinnert sich Hussien Khedr. Seit dem vergangenen Jahr ist er Vize-Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt. Am 13. September kandidiert er nicht nur für den Hiddenhausener Integrationsrat, sondern auch für den Gemeinderat. „Die SPD muss die Partei der Migranten sein“, sagt Khedr. Dazu gehöre auch, dass sich die die Partei weiter öffne.

Das sieht auch Sylvia Dahlmann so. Eine „Migrationsgeschichte“ hat die Frau aus Dortmund nicht. In der SPD ist sie erst seit Januar 2018. Am 13. September kandidiert sie für den Integrationsrat der Stadt. „Ich sehe mich als Vermittlerin zwischen den Deutschen und den Vertretern anderer Nationen“, sagt sie. Dahlmann wuchs in der Dortmunder Nordstadt auf. Rund 60.000 Menschen aus 150 Nationen leben hier.

Integrationsräte brauchen mehr Aufmerksamkeit

Ein kommunales Wahlrecht für alle findet auch Sylvia Dahlmann richtig. Den Integrationsrat sieht sie aber als gute Interessensvertretung für Migrant*innen. „Leider wissen viele gar nicht, dass es ihn gibt“, sagt sie. „Wir müssen dafür sorgen, dass seine Arbeit mehr wahrgenommen wird.“ Das haben sich Dahlmann und ihre neun Mitstreiter*innen aus der Dortmunder SPD für die kommenden fünf Jahre vorgenommen. „Wir sind eine richtig bunte Truppe“, sagt sie.

Dasselbe gilt für Hiddenhausen. Acht Sozialdemorkrat*innen treten hier für acht Plätze im Integrationsrat an. Trotz Corona hat Hussien Khedr in den vergangenen Wochen an vielen Türen geklingelt. „Die meisten waren sehr freundlich, manche haben mich sogar auf ein Bier eingeladen und wollten mich kennenlernen“, erzählt er. Einige wollten auch wissen, warum er als gebürtiger Ägypter in Deutschland kandidiert. „Weil ich hier lebe“, hat Khedr ihnen geantwortet. „Und weil ich auch etwas zurückgeben will.“ Und noch etwas hat Hussien Khedr ihnen gesagt: „Die Ausländer von heute sind die Deutschen von morgen.“

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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