Inland

Kommen um zu bleiben?

von Susanne Dohrn · 4. Juli 2013

Sie mussten ihre Heimat verlassen, um in Deutschland Arbeit zu finden. Nun lernen jungen Menschen aus Südeuropa die Sprache ihres Gastlandes, unterstützt von Handwerkskammern und Initiativen. Bleiben möchten sie nur so lange, bis es in ihrer Heimat wieder bergauf geht.

Sie heißen Antonio, Santiago, Fabina oder Grigoris. Sie kommen aus Spanien, Italien oder Griechenland und sie suchen ihr Glück in Deutschland. Nicht weil sie unbedingt in die weite Welt wollten, sondern weil die EU-Staaten viel zu lange die hohe Jugendarbeitslosigkeit – vor allem in Südeuropa – schlicht ignoriert haben. „Wenn man zu lange nicht arbeitet, kommt man an einen Punkt, wo man sich selbst in Frage stellt“, sagt Fabina Persello.

Die 35-jährige Kommunikationswissenschaftlerin und Grafikerin aus Udine spricht perfekt Deutsch. Vor gut vier Jahren kehrte sie der Arbeitslosigkeit in Italien den Rücken und kam nach Hamburg. Einen Job in der Tasche hatte sie nicht, fand aber schnell etwas bei einem Portal für Onlinespiele. Das Unternehmen gehört zu einer Branche, die „händeringend nach neuen Fachkräften sucht“, so Stefan Klein, Projektleiter des Branchennetzwerkes "gamecity:Hamburg".

Die „Generation Krise“

Fabiana ist Teil der „Generation Krise“ oder, wie manche Experten sagen, einer „verlorenen Generation“. Sie hat ihr Schicksal selbst in die Hand genommen, um der Arbeits- und der Perspektivlosigkeit in ihrer Heimat zu entkommen. Für die Hoffnung auf ein besseres Leben hat sie Freunde und Familie zurückgelassen, ähnlich wie in den Generationen zuvor ihre Großeltern, Eltern, Onkel oder Tanten. „Wir Italiener sind an die Idee gewöhnt, dass man weggeht“, sagt Fabiana Persello. Ihr Urgroßvater emigrierte in die USA, ihr Vater in die Schweiz, nur der Großvater blieb, „weil Mussolini Auswanderung nicht erlaubte“.

Doch die heutigen Zuwanderer nach Deutschland unterscheiden sich von ihren Vorfahren. Viele von ihnen verfügen wie Fabiana über ein Studium oder eine Ausbildung. „43 Prozent der Neuzuwanderer zwischen 15 und 65 Jahren brachten im Jahr 2009 einen Hochschul-, Meister- oder Technikerabschluss mit“, so eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung. Das sind fast doppelt so viele wie im Jahr 2000. Sie treffen bei uns auf einen vom Fachkräftemangel geplagten Arbeitsmarkt, der bereit ist, sie aufzunehmen, wenn nötig, sogar auszubilden. Genau darauf hoffen Santiago López (19) und Antonio Alcalde (35).

Deutsch lernen bis September

Die beiden gehören zu einer Gruppe von 22 jungen Leuten, die vor ein paar Wochen in Murcia (Südspanien) ihre Wintersachen eingepackt haben und nach Lübeck gereist sind. Nun wundern sie sich, dass es dort sommerlich warm ist und kurz vor 22 Uhr noch hell. In Spanien waren sie arbeits- und perspektivlos, wie gut 56 Prozent ihrer Altersgenossen. In Lübeck wollen sie im September eine Ausbildung beginnen und bis dahin genug Deutsch lernen, um den Start zu bewältigen.

„Moin España“ heißt das Projekt der Handwerkskammer Lübeck. Hier wird im Kleinen das geleistet, worin die große Politik bisher versagte. Denn mehr als Symbolpolitik haben die verantwortlichen Regierungen – einschließlich der von Merkel – bisher nicht zustande gebracht. Das Projekt hat in Deutschland Pilotfunktion und zeigt, wie groß die Verzweiflung auf beiden Seiten ist. 2012 blieben in Lübeck und Umgebung 319 Lehrstellen unbesetzt. „Vermutlich ist die Zahl noch höher, denn das waren nur die Lehrstellen, die die Betriebe der Arbeitsagentur gemeldet hatten“, sagt Monika Patschull, Abteilungsleiterin Internationale Projekte der Handwerkskammer Lübeck.

Rundumbetreuung von der Handwerkskammer

„Moin España“ soll helfen, einen kleinen Teil der Lücke zu schließen, ohne dabei deutschen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz vorzuenthalten. „Mit der Agentur für Arbeit haben wir vorher genau geguckt, in welchen Bereichen Plätze unbesetzt geblieben sind, und die Jugendlichen dafür gezielt angeworben.“ Die Kammer hat eine Rundumbetreuung organisiert: Vermittlung in die Betriebe, Unterkunft und Kontakte zu Lübecker Familien. Anreise, Sprachkurs und einen Zuschuss zum Lebensunterhalt zahlt das Arbeitsamt.

„Die jungen Leute sind sehr motiviert“, sagt Peter Bode, Obermeister der Elektro-Innung in Lübeck. Er will zwei der Spanier aufnehmen. Um ihnen den Einstieg zu erleichtern, bereitet sein Unternehmen ein spanisch-deutsches Wörterbuch mit Fachbegriffen vor. Zwei Paten in seinem Betrieb sollen den Spaniern zur Seite stehen. Seine beiden Mitarbeiter haben selbst schon im Ausland gelebt und gearbeitet. Sie kennen die Situation. Damit die Spanier nicht an der Berufsschule scheitern, bietet der Betrieb Nachhilfe an. Dahinter steht vor allem ein Wunsch: „Wir hoffen, dass die ihre Ausbildung hier vernünftig absolvieren und tatsächlich hier bleiben“, so Bode. Denn gute Fachkräfte kann der Betrieb brauchen. Bode: „Wir könnten 20 Prozent mehr Aufträge schaffen, wenn wir mehr Personal hätten.“

Auf Dauer bleiben?

Ist es ihm schwer gefallen, aus Spanien wegzugehen? „Si“, bejaht Santiago López mit Nachdruck. Der 19-Jährige war noch nie so weit weg von zu Hause. Aber Eltern, Freunde, Bekannte, alle hätten gesagt: „Hier hast du derzeit keine Chance. Geh nach Deutschland. Du bekommst eine Ausbildung, wie es sie in der Form und Qualität in Spanien nicht gibt.“ Auch López hat ältere Familienangehörige, die früher nach Deutschland gegangen sind, und er sieht den Unterschied. „Wir haben hier viel Hilfe. Die hatten die Generationen vor uns nicht.“

Aber auf Dauer in Deutschland leben? Die Antworten sind unterschiedlich. Santiago López ist unsicher. In Lübeck ist ihm alles fremd – die Sprache, das Essen, die Art miteinander umzugehen. Er hofft, sich daran zu gewöhnen. Antonio Alcalde hingegen sagt: „Ich würde gerne hier bleiben und mich gut integrieren.“ Fabiana Persello will zurzeit nicht zurück nach Italien. Die Lage dort sei zu schlecht. Aber ihre Familie sieht sie nur ein- bis zweimal im Jahr. Zu selten, findet sie. „Man verpasst soviel.“

Karriere mit dem Gesellenbrief

Eine Rückkehroption hält sich auch Gregory Katsaros (29) offen. „In vier oder fünf Jahren vielleicht, je nachdem wie die Situation sich in Griechenland entwickelt“, sagt der Mitarbeiter eines Informatik-Forschungszentrums in Berlin. Seit 2012 arbeitet er dort und ist froh, der Krise in seiner Heimat entkommen zu sein. Lebensstandard und Einkommen in Griechenland seien in den vergangenen zwei Jahren um 40 Prozent gesunken, sagt er. Schwester und Schwager, beide Architekten, hätten mit ihren Kindern kürzlich wieder zu den Eltern ziehen müssen, weil sie sich eine eigene Wohnung nicht mehr leisten konnten.

Von Katsaros’ Studienkollegen arbeiten acht von zehn mittlerweile im Ausland. Ein „Brain drain“ für das Land, Verlust von Wissen und Know-how? Katsaros überlegt. „Ja, schon“, gibt er zu. Andererseits seien sie Teil einer Generation, die sich im Ausland Wissen und Erfahrung aneignet. Wenn die Situation in Griechenland wieder besser werde, gebe es vielleicht eine Rückkehrerwelle: „Leute, die mit ihren Qualifikationen und ihren Investments helfen können, das Land voranzubringen.“ Ähnlich sieht es auch Monika Patschull von der Handwerkskammer Lübeck: „Mit einem deutschen Gesellenbrief können die jungen Leute auch in Spanien irgendwann richtig was anfangen.“

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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