Inland

Kohleausstieg bis 2030 in NRW: SPD-Chef Kutschaty bleibt skeptisch

Kohleausstieg 2030 statt 2038, Entscheidungen über den Kohleabbau und die Verstromung im rheinischen Revier – auf den ersten Blick wurde in Nordrhein-Westfalen am Dienstag Klarheit geschaffen. Doch die Sozialdemokrat*innen vor Ort sehen das anders.
von Benedikt Dittrich · 4. Oktober 2022
Soll länger am Netz bleiben: Das Braunkohlekraftwerk Niederaußem.
Soll länger am Netz bleiben: Das Braunkohlekraftwerk Niederaußem.

Als am Dienstagmorgen Robert Habeck und Mona Neubaur sowie Markus Krebber gemeinsam vor die Kameras treten, haben sie auf den ersten Blick Großes zu verkünden: Bundeswirtschaftsminister Habeck, Neubaur als Wirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen (beides Grüne) sowie der Boss des größten Energieversorgers in Nordrhein-Westfalen konnten sich auf einen vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030 verständigen. 280 Millionen Tonnen CO2 sollen dadurch perspektivisch im Boden verbleiben, die die Kohlekraftwerke sonst bis 2038 noch emittiert hätten.

Ein großer Wurf? Die Sozialdemokrat*innen im Bundesland bleiben skeptisch. Denn es ist eine Absichtserklärung, wie Thomas Kutschaty, Landesvorsitzender und Chef der SPD-Landtagsfraktion, anmerkt. „Die Landesregierung ist jetzt gefordert, die Vorhaben umgehend politisch zu hinterlegen“, fordert er als erste Reaktion dazu am Dienstag. Kutschaty sprach auf Nachfrage des „vorwärts“ von einer umfassenden „To-Do-Liste“ für die schwarz-grüne Landesregierung, die sich aus dieser Entscheidung ergebe.

Kutschaty bemängelt Ausbauziele für Erneuerbare

Was auch daran liegt, dass damit nicht nur eine Entscheidung über die Abschaltung der Kohlekraftwerke getroffen wurde – in und um das Ruhrgebiet herum sammeln sich viele der ältesten und größten Braunkohlekraftwerke in der Bundesrepublik – sondern auch über die künftige Energieversorgung. Dazu zählt Kutschaty weitere Herausforderungen auf, darunter eine konkrete Wasserstoff-Strategie als Ersatz für Erdgas sowie den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien. Für den Transport von Wasserstoff durch das Land forderte Kutschaty eine Erklärung und entsprechende Entscheidungen, auch fehlende Ausbauziele für Solar- und Windkraftanlagen bemängelt er. RWE hat sich am Dienstag zwar ebenso verpflichtet, Erneuerbare ausbauen zu wollen. Allerdings ließ Krebber auch durchblicken: Das ist ohnehin schon Teil der künftigen Unternehmensstrategie des Energieversorgers.

Habeck, Neubaur und Krebber verkündeten neben dem vorgezogenen Ausstieg auch, dass alte Kohlekraftwerke weiter Strom produzieren sollen, die eigentlich Ende des Jahres abgeschaltet worden wären. Neues Enddatum für diese Kraftwerksblöcke: 2024. Damit wird allerdings vor allem das vollzogen, worauf sich die Ampel-Koalition im Bund geeinigt hatte: Für die Dauer der Energiekrise sollen vorübergehend alte Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt werden, um den Strombedarf von Deutschland, aber auch den Nachbarländern zu decken.

Lützerath wird abgebaggert

Damit fiel gleichzeitig der Hammer für das Dorf Lützerath: Dort hatten Klimaaktivist*innen in den vergangenen Monaten immer wieder protestiert und sich ähnlich wie vor Jahren im Hambacher Forst festgesetzt. Das Dorf liegt auf einer Braunkohlezunge, die RWE abbaggern will. Mit der Entscheidung der beiden grünen Ministerien auf Landes- und Bundesebene hat das Unternehmen dafür nun den politischen Segen. Begründet wird die Entscheidung mit dem aktuell höheren Braunkohle-Bedarf.

Bilder wie vor einigen Jahren im Hambacher Forst wolle man vermeiden, hieß es. Bis 2019 hatten sich Aktivist*innen in Hambacher Forst in Baumhäusern verschanzt und sich der gewaltsamen Räumung widersetzt. Die damalige NRW-Landesregierung unter Armin Laschet (CDU) ließ unter massiven Protesten Teile des Forsts räumen. Später wurden Entscheidungen von Politik und Polizei von Gerichten als rechtswidrig eingestuft, mit der Entscheidung in der Kohlekommission 2019 endete die Rodung des Hambacher Forsts.

Um die nun aktuellen Entscheidungen nachvollziehen zu können, fordert Thomas Kutschaty indes, dass der ganze Prozess öffentlich gemacht wird. Die Informationen seien für die parlamentarische Arbeit zwingend notwendig. Und der SPD-Landeschef bleibt nach der heutigen Entscheidung weiterhin skeptisch: „Damit tatsächlich Planungssicherheit entsteht, muss das Land die politischen Rahmenbedingungen schaffen.“

Nordrhein-Westfalen gehört auch beim Ausbau der Erneuerbaren Energien neben Bayern und Baden-Württemberg zu den Schlusslichtern im Landesvergleich. Auch Kutschaty hält einen „massiven“ Ausbau von Sonne und Wind für zwingend und fordert deswegen eine Zukunftsstrategie für das Land, explizit für das rheinische Revier, das von der Transformation der Wirtschaft besonders stark betroffen ist.

Das rheinische Revier gehört wie auch die Lausitz in Ostdeutschland zu den großen, noch aktiven Kohlerevieren in Deutschland. Als festes Datum hatte die Kohlekommission 2019 den Ausstieg aus dem Kohleabbau und der Verstromung für 2038 festgelegt – nach Möglichkeit früher. Auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist diese Möglichkeit für ganz Deutschland festgehalten.

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