Inland

Koalition sucht Definition für gutes Leben

Die Bundesregierung startet Bürgerdialoge, um den Wohlstandsbegriff zu erweitern. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll im politischen Diskurs nicht mehr allein über das bestimmen, was gemeinhin Glück und Zufriedenheit heißt.
von Thorsten Herdickerhoff · 13. April 2015
Freunde und Familie gehören ebenfalls zu einem guten Leben, nicht nur materieller Wohlstand.
Freunde und Familie gehören ebenfalls zu einem guten Leben, nicht nur materieller Wohlstand.

Die Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph Stiglitz und Amartya Sen, haben bereits 2010 klar gesagt: „Diejenigen, die unsere Gesellschaften mithilfe des BIP lenken wollen, sind wie Piloten ohne verlässlichen Kompass.“ Diese Warnung hat sich nun auch die große Koalition zu Herzen genommen, nachdem die SPD bereits im Berliner Programm 1989 einen neuen, menschlicheren Wachstumsbegriff definiert hatte.

Gutes Leben messbar machen

Die sogenannte Regierungsstrategie „Gut leben“ fragt zuerst: Was heißt sozialer Fortschritt und bessere Lebensqualität? Was ist den Menschen in Deutschland wichtig? Und was heißt es für sie, gut zu leben? Darüber diskutieren am heutigen Montag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin mit Vertretern der Zivilgesellschaft. Zeitgleich wurde die Webseite für den Online-Dialog frei geschaltet. Nach diesem Auftakt werden rund 100 Bürgerdialoge geführt, damit die Menschen selbst die Richtung vorgeben können. Die Antworten werden wissenschaftlich ausgewertet und mit weiteren Studien und Erkenntnissen zu einem Indikatoren- und Berichtssystem zur Lebensqualität in Deutschland entwickelt. Dieses neue Werkzeug soll dann regelmäßig über den Stand der Lebensqualität in Deutschland Auskunft geben.

Die jüngsten Fortschritte bei der Erweiterung des starren, nur auf Wachstum beruhenden Wohlstandsbegriffs machte eine Enquete-Kommission des Bundestag in der vergangenen Legislatur-Periode. Sie ging auf die Initiative von SPD und Grünen zurück und präsentierte ein neues Rechenmodell für die Messung von Wohlstand und Lebensqualität. Drei Bereiche spielten nun eine Rolle: neben materiellem Wohlstand auch Soziales/Teilhabe sowie Ökologie. Der aktuelle Koalitionsvertrag spannt den Bogen noch weiter: „Fortschritt, Lebensqualität und Wohlstand haben viele Facetten: gute Arbeit, ein gutes Einkommen, Gesundheit, aber auch immaterielle Werte wie Familie, Freunde und Freiheit.“

„Debatte über das, was wirklich zählt“

Ein Regierungsprojekt, das über einen derart umfassenden Dialog neue Indikatoren für die Lebensqualität festlegen will, ist politische Pionierarbeit. Das hebt die Bundesregierung auch ausdrücklich hervor und spricht von einem „modernen dialogischen Politikstil“. SPD-Chef Sigmar Gabriel drückt es so aus: „Ob gute Arbeit, Gesundheit oder Familie, Freunde und Zusammenhalt: Wir suchen die Debatte darüber, was wirklich zählt. Dafür wollen wir Politik machen.“

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Thorsten Herdickerhoff

ist freier Journalist und Webseiten-Administrator.

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