Inland

Klimaneutralität: Wasserstoff, das Energiewende-Gas

Grüner Wasserstoff gilt als Hoffnung der Energiewende. Auch in den SPD-Zukunftsmissionen wird das Gas als Element für eine klimaneutrale Industrie erwähnt, als Baustein des sozial-ökologischen Wandels. Warum eigentlich? Fragen und Antworten.
von Benedikt Dittrich · 5. März 2021
Power-to-Gas-Anlage in Hamburg: Im Übergang kann sogenannter blauer Wasserstoff eine Brückenfunktion haben.
Power-to-Gas-Anlage in Hamburg: Im Übergang kann sogenannter blauer Wasserstoff eine Brückenfunktion haben.

– Dieser Artikel wurde zuerst im März 2021 veröffentlicht und im August 2022 zuletzt aktualisiert. –

Was hat Wasserstoff mit Klimaschutz zu tun?

Im Konjunkturpaket der Bundesregierung steht es bereits drin, in den Zukunftsmissionen der SPD wird es konkret: Deutschland soll Wasserstoff-Innovationsland werden. Für eine CO2-neutrale Stahl- und chemische Industrie wird „grüner“ Wasserstoff – also mittels Elektrolyse und Erneuerbaren Energien erzeugt – als unabdingbar angesehen. Bisher wird in hohem Maße in diesen Bereichen Kohle und Erdgas verfeuert – um Wasserstoff zu gewinnen, aber auch Strom und Hitze. Der Verbrauch fossiler Energieträger ist enorm.

Hinzu kommt: Viele Heizkraftwerke in Deutschland nutzen Erdgas zur Wärmeerzeugung. Wasserstoff könnte den fossilen Energieträger ersetzen, der gegenwärtig importiert wird. Einen weiteren Punkt spricht Jörg Müller, Chef des Windkraft-Unternehmens Enertrag im Gespräch mit dem „vorwärts“ an: Überschüssiger Strom kann als Wasserstoff gespeichert werden. Das ist deshalb so wichtig, weil Strom aus Windkraft und Photovoltaik nicht konstant erzeugt wird, sondern stark schwankt. Jeder Überschuss könnte zur Wasserstoff-Produktion genutzt und das Gas später wieder in Strom umgewandelt werden. Es kann in Tanks gespeichert, ins Gasnetz eingespeist und so einfacher und günstiger transportiert werden als Strom. Oder es wird in Brennstoffzellen verbraucht und treibt so Lkw, Schiffe oder gar Flugzeuge an. Aus dem „Auspuff“ kommt dabei nur Wasserdampf, kein CO2.

Das ist alles noch Zukunftsmusik, allerdings schreibt das Frauenhofer-Institut schon 2019 in einer Roadmap für die Wasserstoffindustrie in Deutschland: „Wasserstoff kann einen entscheidenden Beitrag zur Treibhausgasneutralität der Sektoren Industrie und Verkehr leisten.“

Wenn „grüner“ Wasserstoff so toll ist – warum produzieren wir ihn nicht längst?

Weil die Produktion von „grünem“ Wasserstoff noch sehr teuer ist. Die Elektrolyse benötigt viel Energie und durch die Ökostrom-Umlage im Erneuerbaren-Energien-Gesetz wurde sie sogar zusätzlich verteuert. Es ist einer der Punkte, weshalb die SPD die EEG-Umlage abschaffen will (Update August 2022: Im Juli wurde die Umlage abgeschafft). Diese Effekte waren vor Jahrzehnten, als die Energiewende als Atomausstieg begann, noch nicht berücksichtigt.

Wie hängen Energiewende und Wasserstoff zusammen?

Der Ausbau Erneuerbarer Energien ist der Dreh- und Angelpunkt der klimaneutralen Wasserstoffproduktion. Noch klafft da eine große Lücke: Solange der Energieverbrauch in Deutschland noch nicht über Erneuerbare gedeckt werden kann, ist noch nicht viel überschüssiger Strom für die Wasserstoff-Elektrolyse übrig. Solange der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik also nicht an Fahrt aufnimmt, wird auch die Wasserstoff-Revolution noch ausbleiben – beides wird in der Zukunftsmission der SPD aufgegriffen. Der Ausstieg aus Kohle- und Atomstrom ist aber schon vorgezeichnet und die Industrie braucht Wasserstoff so oder so. Der Weg ist also klar, wenn man den Abbau von Arbeitsplätzen in der Industrie und im Energiesektor verhindern möchte.

Brauchen wir für „grünen“ Wasserstoff also noch mehr Windkraftanlagen, noch mehr Photovoltaik als geplant?

Nicht unbedingt. Denn Wasserstoff kann ein Problem der Erneuerbaren in einen Vorteil verwandeln: Derzeit werden Windparks abgeregelt oder Photovoltaik-Anlagen vom Netz genommen, wenn zu viel Strom produziert wird. DIe Schwankungen kann das Stromnetz nicht verkraften. So geht viel günstiger, überschüssiger Strom verloren. Diese überschüssige Energie könnte künftig in die Wasserstoff-Elektrolyse umgeleitet werden. Der produzierte Wasserstoff könnte dann in Zeiten wo wenig Wind weht und wenig Sonne scheint, in Gaskraftwerken wieder in Strom umgewandelt und so die Schwankungen ausgleichen.

Das ist zwar kein Nullsummenspiel, weil bei jeder Umwandlung Energie verloren geht. Andererseits geht viel mehr Energie verloren, wenn ausgerechnet in besonders stürmischen oder sonnigen Zeiten gar kein Strom eingespeist werden kann.

Was hat es mit den Farben auf sich: Grün, grau, blau, rot, türkis?

Unterscheiden lässt sich die Wasserstoff-Gewinnung erstmal zwischen „grün“ und „grau“: „Grün“ ist die Wasserstoff-Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien – die einzige 100 Prozent klimaneutrale Variante. „Grau“ ist der Wasserstoff, wenn er aus Erdgas gewonnen wird. Das ist die derzeit gängige Methode, denn Erdgas enthält Methan und Methan widerrum Wasserstoff. Dabei entsteht allerdings klimaschädliches CO2.

Wird das CO2 dabei abgeschieden und gespeichert, entweicht also nicht, ist der Wasserstoff „blau“. Eine andere Variante ist „türkiser“ Wasserstoff, der ebenfalls aus Methan gewonnen wird, aber mit anderer Technik. Statt CO2 entsteht dabei fester Kohlenstoff, der ebenfalls eingelagert werden müsste. Beide Varianten – „blauer“ und „türkiser“ Wasserstoff – werden aktuell als Brückentechnologie gesehen, bis für „grünen“ Wasserstoff genug Strom aus Erneuerbaren Energien bereitsteht.

Weitere Farben: Wird Atomenergie für die Elektrolyse genutzt, wird der Wasserstoff „rot“, wird Wasserstoff mittels Fracking direkt aus der Erde gepresst, ist er „weiß“.

Autor*in
Benedikt Dittrich

war von 2019 bis Oktober 2022 Redakteur des „vorwärts“.

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