Kindergrundsicherung: „Es gibt eine große Akzeptanz für dieses Modell“
Inga Kjer/photothek.net/BMZ
Laut Bertelsmann-Studie ist jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut betroffen. Die SPD will eine Kindergrundsicherung einführen. Woran scheitert das derzeit?
Wir haben im vergangenen Dezember auf unserem Parteitag eine sozialdemokratische Kindergrundsicherung beschlossen, die nicht nur aus einer Geldleistung besteht, sondern auch Investitionen in die Infrastruktur vorsieht. Denn mit einer Geldleistung alleine lassen sich nicht alle Nachteile, die Kinder armer Familien haben können, auffangen. Die Kindergrundsicherung, wie wir sie uns vorstellen, ist aber aktuell mit dem Koalitionspartner nicht umsetzbar.
Was wir aber durchgesetzt haben, sind große Schritte dahin. Mit der Vereinfachung des Kinderzuschlags, den Vereinbarungen über die Investitionen in den Kitaausbau und dem Digitalpakt für Schulen haben wir schon vieles erreicht. Darüber hinaus können wir viele Dinge nur gemeinsam mit den Ländern umsetzen. Und wir sehen derzeit in der Corona-Krise, wie schwierig es ist, zu einer guten Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zu kommen.
Mit Blick auf die Corona-Krise zeigt sich auch, dass sich die Situation armer Familien noch verschärft. Was lässt sich kurzfristig tun?
Wir haben den Kinderbonus in Höhe von 300 Euro durchgesetzt und nochmal eine Milliarde Euro für den Ausbau von Kitas im Konjunkturpaket festgeschrieben. Das kann aber noch nicht alles gewesen sein. Es ist wichtig, sich Gedanken zu machen, wie wir einen Ausgleich für Kinder und Jugendliche hinbekommen, die in der Corona-Zeit besonders von Nachteilen betroffen sind. Wir müssen dafür sorgen, deren Familien langfristig zu entlasten und uns gleichzeitig fragen, wie wir Nachteile, die sie jetzt erfahren haben, wieder gutmachen können. Das wird eine große Aufgabe.
Wie könnte so ein konkreter Ausgleich für erlebte Nachteile aussehen?
Kinder und Jugendliche haben während der Corona-Krise enorme Einschränkungen ertragen. Wir sollten anerkennen, was sie geleistet haben und ihnen etwas zurückgeben. Das wäre schon eine sehr wichtige Geste, um Dankeschön zu sagen. Ein Beispiel wäre die kostenfreie Nutzung des ÖPNV. So ein Signal könnten wir jetzt geben. Gepaart mit einem Ausbau des ÖPNV-Netzes insbesondere im ländlichen Raum. Denn hier sind die Wege weiter und das Angebot geringer. Mobilität ist gerade für Jugendliche ein wichtiges Thema. Unser Kindergrundsicherungsmodell sieht eine Kinderkarte für jedes Kind vor, damit alle stigmatisierungsfrei Vergünstigungen bekommen. Wenn alle Kinder eine solche Karte nutzen, ist sie diskriminierungsfrei. Mit dem Guthaben auf dieser Karte können Jugendliche selber entscheiden, was sie tun wollen, ob ins Kino gehen oder ins Hallenbad.
Geraten Jugendliche zu schnell aus dem Blick?
Gerade über Jugendliche, die von Armut betroffen sind, urteilen wir schnell und sehen sie selbst in der Verantwortung für ihre Lebenssituation. Wir berücksichtigen nicht, in welch schwierigen Verhältnissen sie sich befinden. Die Forschung sagt, dass ich Armutserfahrungen, die Kinder machen, heilen kann, wenn ich sie als Jugendliche gut unterstütze. Deshalb ist es wichtig, dass wir unseren Fokus auf Jugendliche richten und schauen, wie wir ihnen gerecht werden können. Gerade für sie brauchen wir mehr Angebote.
Die Kindergrundsicherung bleibt also Ziel?
Es gibt eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für dieses Modell. Die Gewerkschaften unterstützen es, die Grünen und die Linke haben ebenfalls ähnliche Modelle für sich erarbeitet. Wir sind da schon sehr weit. Auch Kampagnen wie #stopptkinderarmut der Bertelsmann-Stiftung sind wichtig – sie sorgen für Aufmerksamkeit und das ist gut so. Aufmerksamkeit alleine reicht aber natürlich nicht. Es braucht politische Lösungen wie die sozialdemokratische Kindergrundsicherung.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.