Inland

Keine Visionen?

von Björn Böhning · 1. März 2012

Dieser Tage ist der Berliner Senat 100 Tage im Amt. Bevor die Regierung überhaupt richtig angefangen hat, wurde ihr schon vorgeworfen, ihr fehlten die Visionen. Das ist  ein altbekannter Vorwurf, denn er ist inhaltsleer wie das Innere eines Heißluftballons.

Schauen wir auf die Realität: Ja, Klaus Wowereit hat es geschafft, Berlin zu der Kulturmetropole Europas zu machen und damit doppelt so viele Touristen anzulocken als zehn Jahre zuvor. Visionslos? Ja, der Senat beauftragt zukünftig nur noch Firmen, die einen Mindestlohn von 8,50 Euro zahlen. Unwichtig? Ja, es sollen auch 60 000 Wohnungen entstehen, die günstig zu mieten sind. Und ja, der Senat wird den steigenden Bedarf bei der Kinderbetreuung decken und mehr Mittel in die Hand nehmen. Und nicht zuletzt: Berlin hat sich zu der Kreativmetropole der Welt entwickelt, die wirtschaftlich mehr und mehr wächst. Und all das sind keine Visionen oder Zukunftspläne, die sich Klaus Wowereit und die SPD vorgenommen haben?

Der Vorwurf der Visionslosigkeit, der sich Tag für Tag in den Feuilletons und selbsternannten feuilletonistischen Debattierzirkeln breit macht, ist absurd. Im Gegenteil: Dieser Senat arbeitet täglich daran, Berlin zur zukunftsfähigsten Metropole Europas zu machen, wie es Klaus Wowereit in seiner Regierungserklärung kürzlich gesagt hat. Schon der kursorische Überblick zeigt, dass das weit mehr ist als eine Floskel. 

Die zukunftsfähigste Metropole Europas

SPD und CDU haben ihrer Koalitionsvereinbarung einen Titel gegeben, der die zentralen Ziele auf den Punkt bringt: wirtschaftlich stärker werden, gute Arbeit fördern, eine soziale Stadt sein. Eine Stadt, die zusammenhält, auch wenn ihre Bewohner unterschiedlich sind: kreativ oder traditionell, kiezig oder global, hier geboren oder zugezogen, immer ganz eigen. 

Die zukunftsfähigste Metropole Europas - was heißt das konkret? Zuerst: Unsere Vision als Senat ist keine abgefahrene Träumerei, aber auch mehr als kurzfristiger Pragmatismus: Es ist schlicht die Aufgabe, ein gutes Zusammenleben in einer wachsenden Metropole und mehr und mehr ausdifferenzierten Gesellschaft zu sichern. Das Ziel ist es, jedem Menschen von Geburt an gleiche Chancen zu geben, bei der Bildung und bei der Jobsuche. Jeder Mensch soll gut versorgt sein, bei Krankheit und im Alter. Und jeder soll ein zufriedenes Leben führen können, mit genügend Zeit für Familie, Freunde, Freizeit und das, was er gerne macht. Eine bessere Gesellschaft eben.

Und zweitens: Ja, Berlin wächst. Und alle Probleme, die tagein und tagaus diskutiert werden, haben mit diesem Entwicklungsprozess zu tun. Steigende Mieten, Verkehrsprobleme, Fluglärm – sind eine Folge dieses Wachstumsprozesses. Wäre Berlins Wohnungsmarkt für Zuzügler unattraktiv, niemand würde sich für Wohnungen in der Stadt interessieren. Würde Berlin nicht wachsen, niemand würde in der Stadt mobil sein oder gar her- und wegfliegen wollen. Die SPD wird vor der Lösung dieser Probleme nicht weglaufen oder gar diese Entwicklung der Stadt aufhalten wollen. Biedermeier und St. Florian sind nicht der richtige Weg, sondern nur das Engagement für eine Metropole, die im Wachstumsprozess weiter lebenswert und attraktiv sein kann.

Chance für dynamische Entwicklungen

Kurz gesagt: Berlin zur zukunftsfähigsten Metropole Europas machen. Das bedeutet: Die besten und innovativsten Antworten auf das städtische Zusammenleben in Berlin zu entwickeln, zu erproben und beispielhaft für viele andere Metropolen zu praktizieren. Man muss nämlich nicht nur auf Städte wie Jakarta, Rio de Janeiro oder Los Angeles schauen, um festzustellen: Schon heute ist Berlin mit seiner Größe von rund fünf Millionen Einwohnern in der Region eine der leistungsfähigsten Metropolen der Welt. 

Die Herausforderungen sind unterschiedlich. Es gibt Probleme, die wir einfach bewältigen müssen, die aber auch eine Chance für dynamische Entwicklungen sind. Sozialer Zusammenhalt, trotz Wachstum und auch durch Wachstum. Mobilität sicherstellen bei mehr Einwohnern und Touristen. Die Energiewende in einer 775-jährigen Stadt vorantreiben, in der man eben nicht einfach alles neu bauen oder die Netze von heute auf morgen neu ausrichten kann.

Ein gutes Beispiel für eine zukunftsfähige Metropole ist der Aufbau nachhaltiger Mobilität und moderner Verkehrsketten. Berlin will ein Schaufenster der Elektromobilität sein. Schon in den ersten 100 Tagen hat dieser Senat über 250 Partner aus der Wirtschaft versammelt, die Berlin zu einem Leuchtturm innovativer Mobilitätskonzepte und -techniken entwickeln wollen. Erhalten wir den Millionen-Zuschlag und hält die Bundesregierung ihre Finanzzusagen ein, dann kann Berlin nicht nur verstärkt in klimaschonenden Verkehr investieren, sondern gewinnt auch neue Arbeitsplätze.

Unser Ziel ist, Berlin bis 2050 zu einer klimaneutralen Stadt zu machen. Die Strategie bei der Schaufenster-Bewerbung ist dabei wegweisend: gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, auch beim Sparen von Energie und bei der Umstellung auf Erneuerbare Energien. Wir werden Gebäude energetisch sanieren. Die Versorgung mit Energie soll dezentraler werden, um stärker auf lokale Anforderungen eingehen zu können. Wir wollen intelligente Netze schaffen, die sich auf diese dezentrale Energieversorgung einstellen können, auf Erneuerbare Energien und dadurch entstehende Schwankungen im Energienetz. Um den Druck auf die Unternehmen zum Netzausbau und -umbau zu erhöhen, wird der Senat den öffentlichen Einfluss auf die Netzanbieter erhöhen, so wie es Hamburg ebenfalls plant.

Eine sozialdemokratische Wohnungsbaupolitik für Berlin

Eine weitere zentrale Zukunftsaufgabe ist eine neue Wohnungsbaupolitik. Aus der energetischen Sanierung entstehen zwangsweise höhere Kosten für die Mieterinnen und Mieter. Diese Folgekosten aus der ökologischen Erneuerung müssen wir innerhalb der Städte politisch abfedern. Daher ist es richtig, wenn der Stadtentwicklungssenat eine neue, eine sozialdemokratische Wohnungsbaupolitik für Berlin entwickelt. Gutes Wohnen für alle, auch zu bezahlbaren Preisen, ist eine Grundlage einer zukunftsfähigen Metropole. 

Und wo, wenn nicht in Berlin. gibt es beispielsweise Flächen wie das Tempelhofer Feld, die als Leuchtturm einer sozialdemokratischen Wohnpolitik gelten können. Auch hier scheiden sich im politischen Berlin die Geister: Der Ruf nach der ökologischen Energiewende ist groß und laut – der Wille, auch die sozialen Folgekosten in den Blick zu nehmen leise und klein. Das gute Zusammenleben zu sichern heißt aber eben vor allem soziale und ökologische Ziele miteinander zu vereinen.

Die Internationale Bauausstellung 2020 kann ein Musterbeispiel sein, wie Berlin zur zukunftsfähigsten Metropole wird. Denn nur lebenswerte und gemeinsam gestaltete Städte sind auch zukunftsfähig. Architekten, Stadtplaner, Techniker und Ingenieure, Künstler und viele andere beteiligen sich an der Vorbereitung der Bauausstellung.

Unser Ziel ist, die Menschen noch mehr an der Stadt teilhaben zu lassen. Das heißt  Angebote zu machen, an denen sich Bürgerinnen und Bürger aller Milieus beteiligen können. Menschen mit wenig Zeit, utopischen Ideen und vor allem unterschiedlichen Kompetenzen, die sie einbringen können. Aber eben auch die, die nicht mit Thomas Mann im Bücherschrank aufgewachsen sind. Die Politik muss ihre Ideen Ernst nehmen.

Zukunftsfähige Metropole – urbane Technologien 

Wir werden weiterhin viel Energie brauchen, um wirtschaftlich stark zu sein. Wenn immer mehr Menschen in die Städte ziehen brauchen wir intelligentere Technologien, mit denen wir das Zusammenleben organisieren können. Berlin baut sein Netzwerk aus, in dem Wissenschaft und Unternehmen zusammenkommen und sich gegenseitige Impulse geben. Sie entwickeln Konzepte, um Luft und Wasser sauber zu halten und Müll schonend wiederzuverwerten. Sie tüfteln aus, wie wir die Stromversorgung mit möglichst vielen Erneuerbaren Energien sicherstellen können und wie ein effizienter Verkehrsmix aussieht.

Auf dem jetzigen Gelände des Flughafen Tegels wollen wir ein Zentrum für urbane Technologien und urbane Praxis errichten, in dem genau diese Forschung betrieben wird, offen für heimische und internationale Forscherinnen und Forscher oder Techniktüftler. Berlin wird so mehr und mehr zum Standort für industrielle Zukunftslösungen.

Klaus Wowereit und die SPD haben eine Vision für Berlin. Nämlich die Stadt zum Musterbeispiel für urbane Zukunftslösungen zu entwickeln. In vielen Bereichen, zum Beispiel bei der Kultur oder der Wissenschaft ist sie das schon – in anderen müssen wir sie gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen noch dazu entwickeln. So erfüllt man im 21. Jahrhundert das Gemeinwohlversprechen. Denn die große Herausforderung ist, dass das Wachstum der Stadt einen Nutzen für alle bereithält und niemand verloren geht oder abseits bleibt. Die positive Bilanz der ersten 100 Tage ist nur der Anfang. Berlin ist auf dem Weg.

Autor*in
Björn Böhning

Björn Böhning war von Juni 2004 bis November 2007 Bundesvorsitzender der Jusos in der SPD. Von Februar 2008 bis November 2011 war er Sprecher der SPD-Linken (Forum Demokratische Linke 21). Seit Dezember 2011 ist er Chef der Berliner Senatskanzlei.

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