Bundesverfassungsgericht verhandelt über den Erlass einer einstweiligen Anordnung bei ESM-Verträgen und Fiskalpakt.
Karlsruhe. Der Euro, die Einheitswährung in der Europäischen Union, liegt auf der Intensivstation. Sie muss nicht nur künstlich ernährt, sondern auch beatmet werden. Ein Kollabieren scheint nur noch eine Frage der Zeit zu seien. Die Politik, allem voran die deutsche, tut alles, um die gemeinsame Währung zu retten. Aber sind diese Maßnahmen noch von unserer Verfassung gedeckt und mit dem Grundgesetz vereinbar?
Mit dieser Frage hatte sich gestern der zweite Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle auseinanderzusetzen. Dabei ging es allerdings noch nicht um eine endgültige Entscheidung, ob der Euro-Rettungsschirm verfassungswidrig ist oder nicht, sondern um sogenannte Eilanträge.
Hiermit begehren die Antragssteller, dass Bundespräsident Gauck die Gesetze solange nicht unterschreibt und ausfertigt, bis Karlsruhe die Verfassungsmäßigkeit im Hauptsacheverfahren endgültig geklärt hat. Und diese Antragsteller sind nicht wenige. Neben dem Dauergast in Karlsruhe, wenn es um europapolitische Angelegenheiten geht, Peter Gauweiler (CSU), fordern eine konservative Professorengruppe um den Juristen Karl Albrecht Schachschneider, die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE sowie die Organisation „Mehr Demokratie“ und mit ihnen zum jetzigen Zeitpunkt bereits 23.000 Bürger, Rettungsschirm und Fiskalpakt zu stoppen.
So unterschiedlich die politischen Intentionen der Antragsteller auch seien mögen, so übereinstimmend waren gestern ihre Begründungen: „Eine Zustimmung zu den ESM-Verträgen ist nur mit einem Volksentscheid möglich, weil alle relevanten Entscheidungen nicht mehr vom Bundestag, sondern von einem internationalen Gremium getroffen werden“, verkündete Dietrich Murswiek, Gauweilers Freiburger Rechtsvertreter. „Die Parlamente sollen wieder agieren und nicht nur reagieren, wir fordern nur die Einhaltung des bestehenden Rechts“, argumentierte für "Mehr Demokratie" die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). „Sollte der Senat keine einstweilige Anordnung erlassen, müsse eine neue Verfassung geschrieben werden, über die das Volk dann abzustimmen habe, genau wie dies das Grundgesetz vorsehe, bemerkte der Jurist Gregor Gysi und fügte hinzu, es gehe mit dieser einstweiligen Anordnung auch darum, die Politik des Sozial- und Demokratieabbaus in Europa zu stoppen.“ Ein Beitrag zur Heiterkeit lieferte Karl Albrecht Schatzschneider: „Die Völker Europas werden uns dankbar seien, wenn sie von der Last des Euro befreit sind“, bemerkte der konservative Rechtsgelehrte.
Diese letzte Bemerkung wurde von Bundesfinanzminister Schäuble, der wie gewohnt vehement für ESM-Verträge und Fiskalpakt warb, nicht kommentiert. Stattdessen forderte er eine „langfristige Krisenprävention“. „Wir brauchen ein neues Konstrukt in der Finanzpolitik“, sagte Schäuble. Genau das sei mit dem neuen ESM geschaffen worden und nur damit ließe sich verlässlich die jetzige Euro-Krise bewältigen, „nur damit könne die Stabilität der Währung garantiert werden“. Die wirtschaftlichen Folgen bei nur geringfügiger Verzögerung des ESM seien dagegen unabsehbar, versuchte der Finanzminister die Verfassungsrichter davon abzubringen, eventuell eine einstweiligen Anordnung zu erlassen. Etwas vorsichtiger formulierte da schon der Abgeordnete Siegfried Kauder (CDU): „Ob der Weg, den wir eingeschlagen haben, der Königsweg ist, wird die Geschichte zeigen“, bemerkte der Bundestagsabgeordnete.
Die Karlsruher Richter stehen vor einem Dilemma. Einerseits müssen sie, um eine einstweilige Anordnung zu erlassen, einen sehr wahrscheinlichen Verfassungsverstoß annehmen. Andererseits, ergeht diese Anordnung nicht, wird eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren bereits vorweggenommen, da Gauck, auf Drängen Merkels und der Bundesregierung, diese Gesetze sofort unterzeichnen wird und sie damit in Kraft treten. Diese Gesetzte aber können von keiner Regierung und von keinem Bundestag mehr rückgängig gemacht werden. Sie sind automatisch völkerrechtlich bindend.
Voßkuhle plädiert nun dafür, sich bei der Entscheidung mehr Zeit zu nehmen und neben der Folgenabwägung auch eine grobe inhaltliche Prüfung vorzunehmen. Nach bisheriger Praxis ergeht eine einstweilige Anordnung nach spätestens drei Wochen. Zumindest so lange wird der Bundespräsident diese unsere Verfassung gänzlich verändernde Gesetze nicht unterschreiben.