Die Banken haben immer noch zu viel Einfluss, klagt Sebastian Dullien, Professor für Volkswirtschaft in Berlin im Interview mit dem vorwärts.
Herr Dullien, ist das Raubtier Finanzmarkt heute gebändigt?
Nein. Zwar sah es kurze Zeit so aus, als seien die Politiker weltweit entschlossen, die Finanzmärkte wirklich an die Kette zu legen, aber am Ende wurden die großen Fundamentalprobleme nicht angegangen.
Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an den Mechanismen vor 2008?
Grundsätzlich ist den Finanzmärkten viel zu viel Einfluss auf unsere Volkswirtschaften eingeräumt worden. Finanzmärkte haben nicht nur über Investitionen von Unternehmen entschieden, sondern ihnen wurde eine wachsende Rolle etwa bei der Altersvorsorge zugeschrieben.
Mit ihrem Einfluss auf die Märkte für Staatsanleihen bestimmen sie über das Schicksal ganzer Nationen, wie uns in der Euro-Krise immer wieder plastisch vor Augen geführt wird. Über den Rendite-Druck und den Fokus auf das Shareholder-Value-Prinzip brachten sie extremes Kurzfrist-Denken in viele Bereiche der Wirtschaft und trugen zur wachsenden Einkommensschere zwischen Arm und Reich bei.
Von Spekulanten getriebene massive Wechselkursschwankungen können über Nacht die Planungen ganzer Konzerngruppen hinfällig werden lassen und zu Massenentlassungen führen.
Zugleich hatten die Finanzmärkte eine ungeheure Komplexität bei Finanzprodukten und Institutionen entwickelt, die weder Marktakteure noch Aufsichtsbehörden oder Politiker noch überschauen konnten.
Wurden die System-Fehler alle erkannt?
Das Grundproblem des übermäßigen Einflusses der Finanzmärkte und der Komplexität des Finanzsektors wurde vielleicht im Feuilleton angekreidet, nicht aber mit neuen Regulierungen oder einer Politikwende angegangen.
Über eine Begrenzung der globalen Kapitalströme oder eine nachhaltige Stabilisierung der Wechselkurse wurde auf der politischen Bühne noch nicht einmal ernsthaft geredet.
Lediglich an den Detailproblemen wie etwa klar unzureichendem Eigenkapital der Banken oder bestimmten Geschäftspraktiken bei den Verbriefungen wurde nun etwas gedreht.
Während der Krise wurde der Begriff „too big to fail“ geprägt, der Institute meint, die so groß und mächtig geworden sind, dass ihre Insolvenz Staaten oder gar die Weltwirtschaft gefährden könnte. Ist das Problem gelöst?
Den großen, systemrelevanten Banken ist nun auferlegt worden, künftig mehr Eigenkapital für ihre Geschäfte vorzuhalten. Das höhere Eigenkapital macht die Banken zwar sicherer, aber es bleibt immer noch die Möglichkeit, dass große, systemrelevante Banken durch unvorhergesehene Ereignisse in eine Schieflage geraten und vom Staat gerettet werden müssen. Das ist so in modernen Bankensystemen, und das wird auch so bleiben.
Umstritten ist die geplante Einführung der Transaktionssteuer, mittels der Banken ihre risikoreicheren Geschäfte selbst absichern sollen. Kritiker sehen die private Altersvorsorge gefährdet. Sie auch?
Für vernünftige Investitionsstrategien, bei der Wertpapiere mit langen Anlagehorizonten gehalten werden, fallen trotz der gesetzlich vorgeschriebenen Umschichtungen auf das einzelne Jahr gerechnet nur extrem niedrige Steuersätze an. Statt über die Belastung der privaten Altersvorsorge durch die Transaktionssteuer zu sprechen, sollte man lieber einmal über die in den üblichen Rentensparplänen und Riester-Produkten enthaltenen Gebühren sprechen – die sind nämlich zum Teil geradezu unverschämt, belasten die Sparer und fließen direkt den Banken zu. Für mich ist die Warnung vor den Belastungen der einfachen Bürger durch die Transaktionssteuer nur das geschickte Werfen von Nebelkerzen durch den Finanzsektor, um zu verdecken, wer wirklich die Spargroschen abgreift.
In Deutschland wurde diesen Sommer der Aufbau eines Trennbankensystems beschlossen, wonach Geldinstitute ihre risikoreichen Anlagegeschäfte getrennt vom regulären Kundengeschäft führen müssen. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Die grundsätzliche Idee, riskante Bankgeschäfte stärker vom Einlagen- und Zahlungsgeschäft zu trennen, ist richtig und gut. Von daher ist das beschlossene Trennbankengesetz klar zu begrüßen. Die Frage ist, ob die nun beschlossenen Regeln weit genug gehen und etwa die gesetzten Schwellenwerte nicht zu niedrig sind, sodass eine Reihe von Banken mit riskantem Eigenhandel unter der Schwelle bleibt. Eine andere Frage ist, ob das Verbot von Krediten an Hedge-Fonds ausreicht oder ob den Banken nicht doch zu viele Möglichkeiten bleiben, mit wenig oder nicht regulierten Schattenbanken Geschäfte zu machen.
Das Vertrauen der Bürger in die Banken hat unglaublich gelitten. Sind die Akteure denn inzwischen wieder vertrauenswürdig?
Man muss sich klar machen, dass das Ziel der Akteure im Finanzsektor ist, Gewinne zu machen. Dabei wird oft die Frage nach dem Gemeinwohl gar nicht mehr gestellt. Gleichzeitig kann vorsätzliches oder fahrlässiges Fehlverhalten der Finanzmanager großen Schaden für die Volkswirtschaft als Ganzes verursachen. Das war vor der Krise 2008/9 so und das ist heute auch noch so. Von daher würde ich sagen, ein guter Teil des Vertrauensverlustes ist nur ein gesunder Realitätsschock für die Bürger. Lassen Sie uns also hoffen, dass ein gesundes Misstrauen bestehen bleibt!
Sebastian Dullien ist Volkswirt und Journalist. Er lehrt als Professor Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.