Dreieinhalb Jahre haben Raja Mokhantar und Johannes Wahlen gesucht: Bezahlbar sollte die neue Wohnung sein und zentral gelegen, damit die Kauffrau und der gelernte Maschinenbauer ohne Auto auskommen. „Als ich schwanger wurde, haben wir angefangen zu suchen“, erzählt Mokhantar. Sie besichtigten Wohnungen in miserablem Zustand und nahmen an Massenbesichtigungen mit 50 Leuten teil. Ohne Erfolg.
Wie dem Paar aus Hamburg geht es derzeit Wohnungssuchenden in der ganzen Republik. Nicht nur Geringverdiener, auch gut verdienende Mittelschichtler verzweifeln schier. Betroffen sind vor allem: „Familien, Studierende und Menschen, die für den Job die Stadt wechseln“, weiß Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund (DMB). 250 000 Mietwohnungen fehlen laut DMB, plus 25 000 Zimmer in Studentenwohnheimen. „Wir steuern auf eine echte Wohnungsnot zu“, warnt Mieterbund-Präsident Franz-Georg Rips.
Der Mangel treibt die Preise nach oben: Betroffen sind Großstädte, Ballungsräume und Universitätsstädte. Wer umzieht, muss zwischen 16 (Bremen) und 28 Prozent (Frankfurt am Main) mehr zahlen als noch 2007. Das zeigen Zahlen vom Immobilienverband Deutschland IVD. Die Einkommen sind im Vergleichszeitraum bei Weitem nicht so stark gestiegen.
Mehr Ältere, mehr Haushalte
Ein Grund für die Wohnungsknappheit ist die falsch eingeschätzte Bevölkerungs-Entwicklung. Als die Häuser, die heute fehlen, hätten gebaut werden müssen, waren sich die Demografen einig, dass die Deutschen immer weniger werden und vermehrt aufs Land ziehen. Ergo brauchen sie weniger städtischen Wohnraum, so die Schlussfolgerung. „Richtig ist, dass die Menschen älter werden, doch gleichzeitig steigt die Zahl der Haushalte“, weiß Ropertz vom Mieterbund. Der Zuzug von Migranten wurde weit unterschätzt, auch der Faktor, dass Menschen, die älter werden, länger eine Wohnung für sich alleine beanspruchen. Außerdem haben immer mehr Menschen zumindest zeitweise Wohnungen in unterschiedlichen Städten – Tribut an die neue Flexibilität, die der Arbeitsmarkt verlangt.
Und es zieht wieder mehr Menschen als gedacht langfristig in die Städte. Auch hier ist der Arbeitsmarkt ein entscheidender Faktor. Immer mehr Menschen schätzen es auch, am gleichen Ort zu wohnen und zu arbeiten.
Allein, der Wohnungsbau in den urbanen Zentren hat mit dieser Entwicklung nicht Schritt gehalten, sondern ging zurück: Rund 70 000 Mietwohnungen wurden bundesweit von 2010 bis 2012 fertig gestellt. Vor 15 Jahren waren es mit 800 000 mehr als zehn Mal so viele.
Zu wenig Sozialwohnungen
Gleichzeitig ist auch die Zahl der Sozialwohnungen drastisch zurück gegangen, von 2,6 Millionen auf 1,6 Millionen in zehn Jahren. Gingen doch alle Experten davon aus, dass Wohnungsnot ein überwundenes Problem aus den 70er Jahren war. Da entschieden sich viele Kommunen und Länder für den Verkauf.
Eine Fehlentwicklung, wie Ropertz kritisiert: „Mit jedem Siedlungs- und Grundstücksverkauf gaben die Städte ein Stück Gestaltungsspielraum auf.“
Ein Spielraum, den Investoren nutzen. Aus beinahe jeder Stadt gibt es Berichte, dass Immobilienunternehmen ganze Straßenzüge oder Quartiere aufkaufen. Im Anschluss steigen die Mieten, oder es wird gleich Eigentum daraus. Mal kommen diese Firmen aus Skandinavien, aus England oder aus Spanien. Immer aber zieht ihr Auftritt einen Preisanstieg im Quartier nach sich. Was folgt, ist der Wegzug alteingesessener Bewohner. Nadja H. aus Hamburg ist so ein Opfer dieser Gentrifizierung: Als ihre Tochter ins Teenageralter kam, wurde die Zweizimmerwohnung endgültig zu klein. In „ihrem“ Stadtteil, dem beliebten Innenstadtbezirk Eimsbüttel, fand die Alleinerziehende nichts Bezahlbares mehr. Sie zog mit ihrer Tochter an den Stadtrand. Statt auf Läden und buntes Leben vor der Haustür blickt sie nun auf die Fassade eines Lagerhauses.
Inzwischen bestreitet niemand mehr, dass es an günstigen Wohnungen mangelt. Doch bis diese gebaut sind, vergehen Jahre. Der Mieterbund fordert deshalb als Sofortmaßnahme eine Deckelung der Miete bei Neuvermietung, nämlich höchstens zehn Prozent mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete. Altverträge dürfen ohnehin nur begrenzt erhöht werden – außer bei energetischer Sanierung. Hier kritisert der Mieterbund, dass Vermieter die Kosten zu großen Teilen an die Mieter weitergeben.
Langfristig muss sich die Stadtentwicklungspolitik ändern. „Es gibt gute Instrumente“, sagt Gregor Jekel vom Deutschen Institut für Urbanistik (DIFU). So hat das SPD-regierte München die „sozialgerechte Bodennutzung“ entwickelt. Dabei ist festgelegt, dass beim Entwickeln neuer Gewerbeflächen immer auch ein Wohnanteil gebaut werden muss und davon ein Teil Sozialwohnungen sein muss.
Ähnliches hat der SPD-geführte Senat in Hamburg angestoßen und mit den Verbänden der Wohnungswirtschaft ein „Bündnis für das Wohnen in Hamburg“ geschlossen. Ziel ist, jedes Jahr 6000 neue Wohnungen zu bauen, davon 2000 öffentliche geförderte Sozialwohnungen mit Mieten von 5,90 bis 8 Euro. Michael Sachs, Staatsrat für Stadtentwicklung: „Bei allen Bauvorhaben gilt: Wer mehr als 30 Wohnungen baut, muss dabei ein Drittel Sozialwohnungen integrieren.“ Außerdem geht Hamburg künftig gegen dauerhafte Leerstände vor und gegen die Vermietung von Wohnraum als Ferienwohnung.
Das Paar aus Hamburg, Raja Mokhantar und Johannes Wahlen, haben inzwischen nicht nur Sohn Amin bekommen sondern endlich auch eine Wohnung in ihrem Wunschbezirk St. Pauli. Und zwar in einer Genossenschaft. Auf die setzt DIFU-Experte Jekel ganz: „In dem Genossenschaftsmodell steckt noch unglaublich viel Potenzial“, sagt Jekel. Und: „Die Genossenschaften selbst müssen aufwachen und ihr Potenzial erkennen.“
Beim Genossenschaftsmodell erwerben Menschen mit dem Eintritt in die Genossenschaft das Recht, dort eine Wohnung zu mieten. Dabei wird eine einmalige Einlage fällig, die bei 250 Euro liegen kann oder bei 8000. In der Regel jedoch weit unter den Kosten, die für Eigentum fällig werden. Und im Gegenzug gibt es sicheren Wohnraum mit stabiler Miete.
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