Inland

Kein Kavaliersdelikt

von Yvonne Holl · 4. März 2014

Dem Staat entgehen Millionen, weil Vermögende Geld ins Ausland schaffen. -Verschärfungen bei Selbstanzeige sind gefordert.

Was kann ein Land mit rund 940 Millionen Euro anfangen? Norbert Walter-Borjans hat die Antwort parat: „Man kann für ein Jahr 18 800 zusätzliche Lehrerstellen finanzieren“, weiß der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. „Oder 8300 Meter Straße bauen oder 11 750 Kinder in Obhut nehmen und ein Jahr lang versorgen.“

940 Millionen Euro. So viel hat das Bundesland direkt und indirekt durch den Erwerb von Steuer-CDs eingenommen. Von Datenträgern, auf denen die Namen und Kontodaten von Bundesbürgern gespeichert sind, die Geld im Ausland und nicht korrekt versteuert haben. Die Konten befinden sich in der Schweiz, der Karibik oder Singapur. -Diese Daten wurden gestohlen, deshalb ist der Erwerb der CDs umstritten.

Welle von Selbstanzeigen

Es geht um viel Geld: Beispielsweise  hatte ein Unternehmer aus Trier auf einem Luxemburger Konto 700000 Euro deponiert. Die Steuerfahndung kam ihm auf die Schliche, weil sein Name auf einer aufgekauften CD auftauchte. Die Beamten rechnen mit rund 60 000 Euro hinterzogenen Steuern. Der Geschäftsmann ging vor Gericht, mit der Begründung, Ankauf und Verwertung der CD hätten sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Der rheinland--pfälzische Verfassungsgerichtshof, dem der Fall nun vorlag, erklärte den CD-Ankauf für rechtmäßig. Begründung: Das Interesse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege überwiege. Lediglich ein automatisches Aufkaufen aller angebotenen Steuer-CDs sei pro-blematisch, da es zum Datenklau animieren könne. Die Richter wiesen darauf hin, dass der Staat den Daten-Ankauf auch schlicht durch ein Gesetz legitimieren könne.

Das wäre sicher im Sinne von -Finanzminister Walter-Borjans. Trotz Strafanzeigen gegen ihn wegen der CD-Ankäufe – die allerdings folgenlos blieben – und anderer Anwürfe ist er ein Verfechter des Vorgehens. Er verweist auf die konkreten Mehreinnahmen – bundesweit sind es sogar schon über drei Milliarden Euro – und auf den Effekt, den immer neue Enthüllungen haben. Jeder neue CD-Ankauf bringt eine Welle von Selbstanzeigen mit sich. Rund 60 000 Personen bundesweit haben bislang Selbstanzeige erstattet oder wurden durch Datenträger überführt.

"Unrecht gegenüber der Gemeinschaft"

Walter-Borjans rechnet vor: Acht CDs hat NRW bislang gekauft und dafür insgesamt zwölf Millionen Euro bezahlt. 84 Millionen Euro nahm NRW durch die direkte Auswertung der CDs ein – also etwa nachzuzahlende Steuern auf Zinsen plus Strafen. 207 Millionen Euro waren Geldbußen von Bankhäusern wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und andere Bußgelder. Und der größte Batzen, nämlich 650 Millionen Euro, summierten sich aus Selbstanzeigen, also als indirekte Folge der CD-Ankäufe. Macht zusammen 941 Millionen Mehreinnahmen. „Steuerhinterziehung hat in weiten Teilen sein Kavaliersdelikt-Mäntelchen verloren“, sagt Walter-Borjans, der schon viele Spitznamen hatte, von „Robin Hood“ bis „Rächer der ehrlichen Steuerzahler“. Der 61-jährige Diplom-Volkswirt hat nichts dagegen. In der Gesellschaft nimmt er einen Wandel wahr: Gerade jüngere Leute sähen in Steuerbetrug zunehmend „das, was es ist: Unrecht gegenüber der Gemeinschaft der ehrlichen Steuerzahler“.

Verjährung auf dem Prüfstand

Dies gelte besonders auch für die prominenten Fälle wie etwa die Enthüllungen über Selbstanzeigen von Fußballmanager Uli Hoeneß oder der Publizistin Alice Schwarzer. „Die Steuerbehörden haben das Steuergeheimnis zu wahren, egal ob der Fall prominent ist oder nicht, und das tun sie auch“, stellt Walter-Borjans klar. Für die teils empörten Reaktionen ertappter Promis zeigt der Finanzminister jedoch wenig Verständnis: „Es gehört sicher zum menschlichen Verhalten, nach Erklärungen und Entschuldigungen für das eigene Fehlverhalten zu suchen.“ Aber gerade Menschen, die im Rampenlicht stehen, „stehen auch im besonderen Maße für ihre Ausflüchte in der Verantwortung. Dafür haben die Menschen im -Publikum ein feines Gespür. Das gilt besonders, wenn der Steuer-betrug im krassen Gegensatz zu dem steht, wie man sich vorher gerne -dargestellt hat.“

Die Möglichkeit zur Selbstanzeige will Walter-Borjans erhalten, er tritt aber für eine Verschärfung der Bedingungen ein. „Steuerhinterzieher dürfen nicht mehr damit kalkulieren, dass ihre Steuerschuld verjährt, wenn sie ihre Selbstanzeige nur lang genug hinauszögern.“ Noch im März will die Finanzministerkonferenz einen Beschluss zur Verjährungsfrist fassen. Details sind aber noch nicht bekannt.

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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