Die Kinderarmut in Deutschland befindet sich auf einem „skandalös hohem Niveau“, das hat eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ergeben. Damit widerspricht sie der Erklärung der Bundesregierung von Januar 2012, die von einem Rückgang der Kinderarmut spricht.
Ein Leben in Hartz IV, das bedeutet für Kinder Ausschluss, Mangel und Perspektivlosigkeit. Der Hauptgeschäftsführer Dr. Ulrich Schneider spitzt es weiter zu: „Hartz IV zerstört die Kindheit“. Umso erschreckender ist die Tatsache, dass es seit Einführung der Hartz IV Regelungen im Jahr 2005 keinen positiven Trend bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland gibt, wie jetzt eine Studie des Paritätischen Gesamtverbandes herausgefunden hat.
Die Entwicklungen sind regional sehr unterschiedlich. Während auf Bundesebene durchschnittlich jedes siebte Kind unter 15 Jahren in Hartz IV Bezug lebt, ist es in Berlin sogar jedes dritte Kind. Mit einer Hartz IV Quote von knapp 34% bildet die Hauptstadt das Schlusslicht im Bundesvergleich, auch wenn sie seit Ende 2006 um 9,4% gefallen ist. Zum Vergleich: Bayern weist eine Quote von 7% auf.
Demographische Entwicklung muss berücksichtigt werden
Die regionalen Unterschiede sind auch im Ost-West-Vergleich sichtbar. In Ostdeutschland ist durchaus ein positiver Trend zu verzeichnen, denn die Quote von Kindern in Hartz IV Bezug ist seit 2006 durchschnittlich von 30% auf 24% gesunken. Das Ruhrgebiet hingegen bezeichnet Schneider als Problmebezirk Nr. 1. Dort leben mehr als 25% aller Kinder in Hartz IV Bezug. Außerdem gab es in Städten wie Hamm oder Mühlheim zwischen 2005 und 2010 einen Zuwachs von 49%. Diesen Anstieg charakterisiert Schneider als einen armutspolitischen Erdrutsch.
Parallel zur Hartz IV Quote muss auch die demographische Entwicklung berücksichtigt werden. In Berlin beispielsweise ist die Armutsquote zwar um 9,4% gefallen, gleichzeitig verzeichnete die Hauptstadt einen Kinderzuwachs von 7,4%. Die Tatsache, dass es mehr Kinder gibt ändert aber nichts an der Anzahl der Kinder in Hartz IV Bezug. Deswegen ist die Statistik nur unter Berücksichtigung der Geburtenrate aussagekräftig.
Bei der Erklärung der Bundesregierung Anfang des Jahres, in der von einem Rückgang der Kinderarmut in Deutschland die Rede ist, handle es sich also um Halbwahrheiten und beschönigte Zahlen, wie Schneider feststellt. Die Regierung habe die demographische Entwicklung schlicht und einfach außer Acht gelassen. Es sei offensichtlich, dass der wirtschaftliche Aufschwung bei Kindern in Hartz IV Bezug nicht ankomme, kritisiert Schneider.
Bundesregierung bestreitet falschen Weg
Besonders anfällig für Leistungen aus Hartz IV sind kinderreiche Familien und Alleinerziehende. Heute beziehen 42% aller Alleinerziehenden in Deutschland, unabhängig von ihrem Wohnort und dessen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Gelder aus Hartz IV. Über die Hälfte der Alleinerziehenden, die meisten Frauen sind, haben keine abgeschlossene Berufsausbildung und jede vierte besitzt keinen Schulabschluss. Genau an dieser Stelle müsse die Bundesregierung ansetzen, fordert Schneider. Deswegen bezeichnet er deren Lösungsvorschläge zur Bekämpfung der Kinderarmut als Sonntagsreden. Denn die für 2013 geplante flächendeckende Bereitstellung von Betreuungsplätzen diene vor allem hochqualifizierten Müttern, nicht Hartz IV Empfängerinnen.
Die Regierung müsse einen entschieden anderen Weg bestreiten. Politiker müssten alleinerziehenden Frauen berufsqualifizierende Maßnahmen bereitstellen. Daneben müssten sie den Kinderzuschlag reformieren, stärker in Bildung und Sozialarbeiter investieren, sowie jedem Kind einen Rechtsanspruch auf gesellschaftliche Teilhabe gewähren. Das von der Bundesregierung verabschiedete Gutscheinsystem nennt Schneider völligen Unsinn, da hierbei beispielsweise die Folgekosten für Sport- oder Musikausstattungen nicht berücksichtigt würden.
Außerdem müssten Politiker endlich Mindestlöhne und gestaffeltes Kindergeld einführen, sowie die Hartz IV Kinderregelsätze erhöhen, fordert Schneider, denn er ist sich sicher: „Kinder brauchen Zuversicht, und das können sie nur dann haben, wenn sie nicht mit ansehen müssen, dass die Eltern Tag für Tag arbeiten gehen und das Geld am Ende des Monats ohnehin nicht zum Leben ausreicht.“
Romy Hoffmann ist Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg. Im Frühjahr 2012 absolvierte sie ein Praktikum in der Redaktion des vorwärts.