In der bislang umfangreichsten Verfassungsbeschwerde der Bundesrepublik gegen die Zustimmungs- und Begleitgesetze zu ESM und Fiskalpakt hat das Bundesverfassungsgericht die Anträge der zahlreichen Kläger zwar weitgehend abgelehnt, dennoch muss Bundespräsident Gauck mit seiner Unterschrift noch warten. Die Gesetze müssen zuvor noch einmal überarbeitet werden.
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle sprach in seinen einleitenden Worten zur Urteilsbegründung von einer „besonderen Herausforderung“, vor dem das Gericht bei diesen Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestanden habe, sowie von einer „beispiellosen öffentlichen Diskussion“, die diesen Prozess bisher begleiteten. Und diese „beispiellose öffentliche Diskussion“ äußerte sich auch in einem bisher nie dagewesenen internationalen Medieninteresse auf dem Gelände des höchsten deutschen Gerichts. Dass sich schwedische Pressevertreter schon mal vorab, vielleicht wollen sie dem Euro ja auch bald beitreten, über den Stand der Eurorettung informieren wollen, ist vielleicht nicht überraschend. Aber die Anwesenheit von japanischen, chinesischen und ägyptischen Fernsehsendern in den Fluren des Karlsruher Gerichtes bei einer Urteilsverkündung dürfte sicher eine Primäre sein.
Bei 190 Milliarden ist Schluss
In seinem gestrigen Urteil hat der zweite Senat zwar festgestellt, dass die Gesetze zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm (ESM-Vertrag) und zum Fiskalpakt zwar weitgehend nicht gegen das Grundgesetz verstoßen, dennoch waren die Klagen alles andere als erfolglos. Denn eine Ratifizierung des ESM-Vertrages ist nach diesem Urteil nur zulässig, wenn sich die deutschen Zahlungsverpflichtungen im Notfall auf rund 190 Milliarden Euro beschränken lassen. In diesem für jeden „Normalbürger“ unvorstellbaren Betrag sehen die Richter offensichtlich noch keinen Verlust der Haushaltsökonomie des Bundestages. Dass Deutschland aus seinen vertraglichen Verpflichtungen heraus, und dieser Fall kann zum Beispiel bei einem Ausfall anderer europäischer Nationen durchaus eintreten, auch mehr zahlen muss, halten die Richter offensichtlich für nicht sehr wahrscheinlich. „Die Obergrenze wäre dann Gegenstandslos“, ist sich Voßkule sicher. Außerdem müsste, sollte dieser Fall tatsächlich eintreten, auch hierfür Bundestag und Bundesrat wieder ihre Zustimmung geben. Das Demokratiegebot, den Kerngehalt der Verfassung, sieht das Gericht in diesem Fall nicht verletzt. Und es ist in der Tat ein Novum, wie der Prozessvertreter Peter Gauweilers, Dietrich Murswiek, der internationalen Presse nach der Urteilsverkündung erläuterte, dass völkerrechtliche Zustimmungsgesetze mit einer Obergrenze und einem weitestgehenden Informations- und Zustimmungsvorbehalt der nationalen Parlamente ausgestattet werden müssen.
Auch im Regelungsgehalt des Fiskalvertrages sieht der zweite Senat keine Verletzung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages. Denn, so das Gericht, „die Förderung der Haushaltsdisziplin hat eine Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion zum Ziel“. Diese decke sich aber bereits weitgehend mit den bereits bestehenden Vorgaben der „Schuldenbremse“ des Grundgesetzes.
Verzicht auf Rettungsschirm hätte unabsehbare Folgen
Als Begründung für diese in fiskalpolitischer Hinsicht nicht nur für den deutschen Bundestag, sondern auch für die Europäische Union und den Fortbestand des Euro als Zahlungsmittel außerordentlich weitgehende Entscheidung führen die Verfassungshüter im Wesentlichen den umfangreichen Einschätzungsspielraum der Bundesregierung an. Die Regierung habe in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass ein dauerhafter Euro-Rettungsschirm zwar durchaus Risiken berge, die wirtschaftlichen Folgen ohne die Gewährung von Finanzhilfen durch den ESM aber nicht mehr abschätzbar seien. „Das Gericht hat dieser finanzpolitischen Auffassung der Bundesregierung keine eigene Meinung entgegenzusetzen“, erläuterte Voßkuhle.
Die am letzten Wochenende von Peter Gauweiler noch einmal nachgelegte Klage gegen den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB hat das Gericht im Rahmen dieses Prozesses nicht geprüft. Dies wird erst Gegenstand im Hauptsacheverfahren seien. Nach Einschätzung der anwesenden Prozessbeobachter kann sich ein Urteil im Hauptsacheverfahren noch bis zu einem Jahr hinziehen.