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Karl Lauterbach: Die Deutschen wollen die doppelte Widerspruchslösung in der Organspende

Am Donnerstag entscheiden die Bundestagsabgeordneten über die Organspende. Karl Lauterbach hat einen Gesetzentwurf für eine doppelte Widerspruchslösung eingebracht. Danach wären alle Bürger Organspender, es sei denn, sie oder stellvertretend ihre Angehörigen widersprechen.
von Karl Lauterbach · 15. Januar 2020
Karl Lauterbach: Der SPD-Bundestagsabgeordnete bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Gesetzentwurfes zur doppelten Widerspruchslösung am 1. April 2019 in der Bundespressekonferenz in Berlin.
Karl Lauterbach: Der SPD-Bundestagsabgeordnete bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Gesetzentwurfes zur doppelten Widerspruchslösung am 1. April 2019 in der Bundespressekonferenz in Berlin.

In Deutschland ist die Zahl der Organspender deutlich niedriger als in den allermeisten anderen europäischen Ländern. Etwa 10.000 Menschen warten auf ein Organ bei uns. Auf der Warteliste für ein Spenderorgan sterben pro Jahr etwa 2.000 Menschen. Darunter sind auch viele Kinder. Im Vergleich zu unseren Nachbarländern ist die Zahl der Organtransplantationen in Deutschland um ein Drittel niedriger.

Nachbarländer praktizieren Widerspruchslösung seit Jahren

Der wichtigste Grund dafür ist die Art und Weise wie in Deutschland die Zustimmung zur Organspende geregelt ist. Während unsere Nachbarländer schon seit vielen Jahren die so genannte Widerspruchslösung praktizieren, halten wir in Deutschland an der so genannten Zustimmungslösung fest. Der Unterschied ist der folgende: bei der Widerspruchslösung ist jeder Organspender, der dafür medizinisch in Frage kommt. Es sei denn, er hat widersprochen. Der Widerspruch kann daher als die Ausnahme gesehen werden, die Zustimmung als die Regel.

Bei der Zustimmungslösung muss jeder aktiv zustimmen, um als Spender in Frage zu kommen. Dies geschieht in der Regel durch den Organspendeausweis. Die Widerspruchslösung entspricht viel mehr dem Willen der Bevölkerung. In Deutschland - wie auch in vielen anderen Ländern, aber in Deutschland besonders ausgeprägt - sind die Allermeisten zur Spende bereit. 85 Prozent der Deutschen stehen einer Organspende positiv gegenüber. Nur eine Minderheit lehnt sie ab. Einige sind unentschieden. Trotzdem sind nur etwa 36 Prozent mit einem Organspendeausweis ausgestattet.

Die meisten Deutschen würden spenden

Die Wahrscheinlichkeit, selbst einmal eine Organspende zu benötigen, liegt weit höher als die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich Organspender zu werden. Die meisten, die zwar spenden würden, aber als Spender dann doch nicht in Frage kommen, haben die Entscheidung aufgeschoben. Das ist das Problem, das die Widerspruchslösung auflösen könnte.

Bei der Widerspruchslösung würden nur diejenigen nicht spenden, die sich in einem Spenderregister als Nichtspender haben eintragen lassen oder die dies auf einem Organspendeausweis oder einem anderen Dokument festgelegt haben oder dies engsten Verwandten oder besonders nahestehenden Personen mitgeteilt haben. Im Falle eines Hirntodes würde dann geprüft, ob man sich als Nichtspender hat eintragen lassen.

Auch Angehörige können „nein“ sagen

Um sicher zu gehen, dass niemand gegen seinen Willen Spender wird, werden noch Verwandte darüber befragt, ob der Verstorbene ihnen gegenüber eine Spende abgelehnt hat. Ist beides nicht der Fall - daher der Name „doppelte Widerspruchslösung“ - ist man automatisch Spender.

Mit dieser Regelung haben andere europäische Länder die besten Erfahrungen gemacht. Die Regelung ist ein wesentlicher Grund dafür, dass unsere Nachbarländer deutlich mehr Organe transplantieren als wir. Von diesen Ländern, zum Beispiel Belgien, Österreich, Niederlande, Kroatien und Luxemburg, beziehen wir netto zahlreiche Organe. Und zwar deutlich mehr als wir in diese Länder abgeben.

Keine Pflicht zur Organspende

Ethisch betrachtet ist die Widerspruchslösung keine Pflicht zur Organspende. Dies ist sehr zu beachten. Es ist lediglich die Pflicht, sich mit der Thematik zu befassen und eine Ablehnung auch zu dokumentieren. Man kann zumindest erwarten dass derjenige, der nicht zu spenden bereit ist, dies auf der Liste oder auf einem anderen Weg festlegt. Weil wiederum jeder, der ein Organ benötigt oder dessen Kind auf ein Spenderorgan angewiesen ist, auch erwartet, dass er automatisch auf die Empfängerliste kommt. Die Widerspruchslösung rückt konsequent das Leiden der betroffenen Patienten und Organempfänger in den Vordergrund ohne die Freiheit des Einzelnen zu missachten.

Den Text über den alternativen Gesetzentwurf zur Entscheidungslösung finden Sie hier

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Autor*in
Karl Lauterbach

ist Gesundheitsexperte und seit 2005 Mitglied des Bundestages.

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