Kahrs zur Sterbehilfe: „Jeder Mensch soll für sich entscheiden"
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Johannes Kahrs, Sie haben 2015 gegen die Entwürfe zum Verbot der Sterbehilfe gestimmt. Hat sich an dieser Meinung etwas geändert?
Ich empfand es damals als deutlich zu restriktiv. Ich darf ja als erwachsener Mensch ein selbstbestimmtes Leben führen, ich kann wählen, einkaufen, mein ganzes Leben selber organisieren und gestalten. Aber bei der Frage wie und wann ich sterbe, habe ich nichts zu sagen. Ich finde, das geht nicht.
Inwiefern ist die Palliativmedizin dabei nicht ausreichend?
Palliativmedizin ist großartig. Das ist ein wichtiges Angebot, welches man ausbauen und das bedarfsgerecht vorhanden sein muss für die Menschen, die das wollen. Gleichzeitig muss es Vertrauensärzte mit einer speziellen Ausbildung geben, die einem beratend zur Seite stehen in der Frage, wann und wie ich meinem Leben ein selbstbestimmtes Ende bereiten möchte. Über allem steht aber immer die Möglichkeit, sich beraten lassen zu können. Wenn man dann einen solchen Beratungstermin in Anspruch nimmt und ein paar Wochen später einen zweiten, bei denen dokumentiert wird, dass ich mich dazu entschieden habe sterben zu wollen, dann muss es dafür ärztliches Fachpersonal geben, die das ermöglichen.
Diese Möglichkeit eines Beratungstermins muss aber aus dem Bereich der privaten Geschäftemacher raus. Diese verkaufen nämlich irgendwelche Methoden oder Medikamente, beispielsweise aus der Schweiz, heraus. Denen geht es ausschließlich ums Geldmachen. Die Sterbebegleitung muss aber in der Hand von Kliniken und Ärzten verbleiben.
Die Sterbehilfevereine, die damals wie heute in der Kritik stehen, stehen Sie also ebenso skeptisch gegenüber?
Ich halte diese Art der Sterbehilfe für unethisch. Sterben sollte nie etwas mit Geld zu tun haben. Am Tod eines Menschen sollten sich nicht irgendwelche Vereine bereichern. Das sollte Teil eines staatlichen Gesundheitssystem sein. Nochmal: Es sollte nach vorheriger, mehrmaliger ärztlicher Beratung entsprechende Kliniken oder Praxen geben, wo man entsprechende Medikamente bekommt. Der Abschied vom Leben sollte dann im Kreis der Liebsten erfolgen, aber unter medizinischer Begleitung im Krankenhaus oder einer Praxis. Wer ein ganzes Leben lang Entscheidungen getroffen hat, sollte auch entscheiden dürfen, wann sein selbstbestimmtes Leben zu Ende geht. Ob ich das mit 80, 90 oder wann auch immer mache, sollte meine eigene Entscheidung sein und bleiben.
Gibt es eine Grenze, die Sie da ziehen würden, wenn die Urteilsfähigkeit eingeschränkt ist, beispielsweise aufgrund einer Erkrankung wie Demenz?
Es muss eine Patientenverfügung geben. Im Zweifel muss ein Mensch vorher schriftlich niederlegen, was er oder sie will. Wenn das nicht festgelegt ist und die Person nicht mehr entscheidungsfähig ist, dann darf der Staat das nicht einfach für diese Person entscheiden. Denn dann sollte in Absprache zwischen den Ärzten und mit dem engsten Familienkreis über die weitere Sterbebegleitung beraten werden.
Ihre Parteigenossin im Bundestag, Kerstin Griese, befürchtet, dass Menschen unter Druck gesetzt werden könnten, ihr Leben vorzeitig zu beenden.
Wenn wir vom mündigen, erwachsenen Menschen ausgehen, dann kann ich keine Probleme erkennen. Ich kann ja nicht einerseits den Menschen die Entscheidung darüber einräumen, wen sie wählen oder welche Wohnung sie kaufen wollen und ihnen dann eine solche Entscheidung aberkennen. Dieses Misstrauen halte ich nicht für richtig. Es gibt bestimmt Situationen, in denen Menschen unter Druck gesetzt werden können, ja. Deswegen bin ich dafür, dass es diese Beratungsgespräche braucht, in denen alle Alternativen durchgesprochen werden können.
Gibt es aus ihrer Sicht schon Länder, die ein vergleichbares System etabliert haben, das als Vorbild für Deutschland dienen könnte?
Nein. Mir ist nur wichtig, dass jeder Mensch selber für sich entscheiden kann. Die Palliativmedizin ist mit das Großartigste, was sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Ich habe selber viele pflegebedürftige Menschen erlebt und begleitet, die wertgeschätzt, die mitgenommen wurden, die nochmal aufgeblühten im Kreise ihrer Liebsten und einen schönen Abschluss ihrer letzten Lebensphase beschritten.
Aber wenn man das eben nicht will, weil man kaum noch Menschen erkennt oder sich mehr wie ein Roboter fühlt, weil man an einer Vielzahl an Maschinen hängt, dann hat das in meinen Augen nicht mehr viel mit einem würdevollen Leben zu tun.