Junge Menschen brauchen Freiräume – was nach Corona zu tun ist
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Es geht um mehr als nur um verpassten Lernstoff. Schüler*innen verbringen ihre Freizeit nur noch vor dem Laptop, viele Studierende unterer Semester haben ihre Hochschule noch nie betreten oder ihre Mitstudierenden persönlich kennengelernt und Auszubildende haben Probleme, ihre Abschlussprüfung zu machen.
Corona, Jugend und die Folgen
Die rund 14 Millionen in Deutschland lebenden Menschen zwischen zwölf und 27 Jahren leiden besonders unter der Corona-Krise. Gleichzeitig kommen sie in der öffentlichen Berichterstattung kaum vor und sind vor allem an politischen Debatten über Maßnahmen zur Virus-Bekämpfung nicht beteiligt, sagt die Studentin Lys Malin Thomsen am Donnerstag beim Jugend-Hearing des Bundesfamilienministeriums zum Thema „Corona, Jugend und die Folgen“.
Zum virtuellen Treffen mit 60 Jugendlichen und 40 jugendpolitischen Vertreter*innen hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey geladen. Dabei berichten Jugendliche und junge Erwachsene, die an der Umsetzung der Jugendstrategie der Bundesregierung mitarbeiten, darüber, wie es der jungen Generation in der Corona-Krise geht. Vorausgegangen sind viele Gespräche und Rückmeldungen von Seiten des Jugendkrisentelefons. Der direkte Austausch mit Jugendlichen habe sie darin bestärkt, „dass wir die besonderen Herausforderungen für die junge Generation in der Pandemie und ihre Sorgen vor allem auch für die Zeit nach Corona noch stärker berücksichtigen müssen“, hatte Giffey bereits Anfang Februar in einer Pressekonferenz erklärt.
Generation ohne Perspektive
Ein Blick auf das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach bestätigte zu diesem Zeitpunkt ihr Anliegen. Danach gaben 63 Prozent der Unter-30-Jährigen an, dass sie sich einsam fühlen oder unter den Maßnahmen zur Virus-Eindämmung leiden. In der Bevölkerung insgesamt waren es 53 Prozent. Es sei ihr bewusst, dass jungen Menschen viel zugemutet werde, betont Giffey am Donnerstag in Berlin. Das Vorurteil den jungen Menschen gegenüber, sich nicht verantwortungsbewusst zu verhalten, weist die SPD-Ministerin zurück. Auch sie wollten ihren Beitrag leisten, die Situation zu verbessern. „Grenzen verlaufen nicht zwischen jung und alt, sondern zwischen vernünftig und unvernünftig“, sagt Giffey.
Besonders die Kontaktbeschränkung treffen junge Menschen hart, erklärt Lys Malin Thomsen. Aber auch die Tatsache, dass sie wenig Gehör finden. „Das ist umso problematischer, weil wir die kommende Generation sind“, sagt die Studentin. Ihre Generation sei ohne Perspektive, dabei brauche sie Mitsprachemöglichkeiten, um überhaupt wieder Pläne für die Zukunft machen zu können. Thomsen fordert Zeit, um nachholen zu können, was aktuell alles verloren gehe und meint damit nicht nur den „verpassten Lehrstoff“. Berkay Gür sieht besonders junge Menschen mit Migrationsgeschichte und aus sozial benachteiligten Familien im Hintertreffen. Der Jurastudent fordert, Initiativen für von Rassismus betroffene Jugendliche finanziell stärker zu finanzieren. Aber auch Unterstützung für benachteiligte Jugendliche, damit aus der Corona-Krise keine Bildungskrise wird.
Chaos im Bildungsbereich
Auch Dario Schramm, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, sieht die zunehmende Chancenungleichheit als ein Problem, das in der Zeit nach der Pandemie im Auge behalten werden müsse. Schramm beklagt zudem das Chaos im Bildungsbereich. Wenn es heißt, dass Schulen wieder öffnen, sei oft das Wie nicht geklärt. Die Kultusminister*innenkonferenz fordert er deshalb auf, diesen Unklarheiten entgegenzutreten.
Für DGB-Bundesjugendsekretärin Manuela Conte fängt das Dilemma für Berufseinsteiger*innen schon damit an, dass in Schulen keine Berufsorientierung mehr stattfinden kann. Unternehmen entzögen sich zunehmend der Verantwortung, auszubilden. „Wir haben ein Minus von elf Prozent bei Ausbildungsangeboten“, sagt Conte. Da Ansprechpartner*innen in den Betrieben fehlen, käme es zu Unsicherheiten bei Zwischen- und Abschlussprüfungen. Und am Ende stehe die „stille Kündigung“, wie sie es nennt. Wenn es überhaupt zu einer Übernahme in den Betrieb komme, dann mit einem befristeten Vertrag.
Junge Menschen brauchen Freiräume
Doch nicht die Bildungsdefizite stehen im Fokus der Diskussion über Strategien nach der Pandemie. Jugendliche sind nicht nur Schüler*innen, betont Tobias Köck vom Deutschen Bundesjugendring. Jugendbildung, Freizeitstätten, Verbandsarbeit und Sport – all das müsse jungen Menschen bald wieder zur Verfügung stehen. Denn junge Menschen bräuchten vor allem eines: außerschulische Freiräume, in denen sie ihre Freizeit in Gruppen mit Gleichaltrigen verbringen können.
Franziska Giffey betont, dass ihr Ministerium im Austausch mit einem Netz an Organisationen aus Jugendverbänden und der Jugendhilfe stehe. „Außerschulische Einrichtungen sind wichtig“, sagt sie. Aktuell untersütze man digitale Formate. Die Einschränkung von Freiheit dürfe immer nur in Abwägung mit einem anderen Gut, in diesem Fall der Gesundheit, stattfinden, betont Giffey. „Es ist wichtig, bei Öffnungsschritten die Bedürfnisse von Jugendlichen immer im Blick zu haben.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.