Juliane Kleemann: „Holger Stahlknecht scheint den politischen Instinkt verloren zu haben.“
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Die Bundesregierung will 50 geflüchtete Minderjährige aus Griechenland nach Deutschland holen und aufnehmen. Reicht das aus?
Nein, das reicht nicht aus. Für ein reiches Land wie Deutschland mit mehr als 80 Millionen Einwohnern kann die Aufnahme von 50 Geflüchteten aus dieser prekären Situation nur ein erster Anfang sein. Wir sind in der Lage dazu und unser System stößt nicht an seine Kapazitäten, wenn wir diesen Menschen helfen.
Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht sieht das anders. Er meint, es sei in der Corona-Krise „weder politisch noch gesundheitlich tragbar“, weitere Geflüchtete aufzunehmen. Wie kommt er zu dieser Einschätzung?
Wie ein Christdemokrat zu einer solchen Äußerung kommen kann, kann ich nicht nachvollziehen. Ich kann es mir nur so erklären, dass Herr Stahlknecht meint, konservative Wähler mit nationalistischen und menschenfeindlichen Äußerungen überzeugen zu können. Für mich ist das ein erneuter verzweifelter Versuch, am rechten Rand zu fischen. Wer zu weit am rechten Ufer steht, darf sich allerdings auch nicht wundern, wenn er dort ertrinkt.
In den vergangenen Monaten galt Holger Stahlknecht als Stimme der Vernunft in einer eher nach rechts tendierenden sachsen-anhaltischen CDU. Wie erklären Sie sich den Sinneswandel?
Für mich ist es der Ausdruck einer gewissen Verzweiflung. Auch ich hatte lange den Eindruck, Holger Stahlknecht sei besonnen und überlegt. Diesen politischen Instinkt scheint er verloren zu haben.
Wie steht Ministerpräsident Rainer Haseloff zur Äußerung seines Innenministers?
Bisher habe ich von ihm nichts dazu gehört. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Rainer Haseloff die Äußerung teilt. Er ist mir bisher nicht als jemand aufgefallen, der die Schicksale von Menschen gegeneinander ausspielt.
Wie sehr belasten die Äußerungen das Klima der Koalition in Sachsen-Anhalt?
In dieser Koalition knirscht und quietscht es ja schon von Anfang an. Allerdings glaube ich nicht, dass die Sätze eines Innenministers, so falsch sie auch sein mögen, dazu führen, dass sie scheitert. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und den damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Folgen wäre das auch nicht im Sinne der Menschen in Sachsen-Anhalt. Die Äußerungen von Holger Stahlknecht machen aber schon deutlich, dass es große Unterschiede zwischen SPD und CDU gibt. Das wird sich ganz sicher auch im Landtagswahlkampf im kommenden Jahr bemerkbar machen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.