Johann Saathoff: Beim Kohleausstieg die Arbeitnehmer im Blick behalten
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Die von der Bundesregierung eingerichtete Strukturwandelkommission schlägt vor, dass Deutschland bis spätestens 2038 aus der Braunkohle aussteigt. Ist das ein realistischer Zeitrahmen?
Es ist ein ambitionierter Zeitrahmen, der sicherstellt, dass beim Ausstieg aus der Braunkohle die Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Blick bleiben und wir trotzdem die Pariser Klimaziele erreichen.
Wie soll das sichergestellt werden?
Ich komme selbst aus einer Region, die mehrfach einen Strukturwandel erlebt hat. Als in der Landwirtschaft Maschinen eingeführt wurden, hat das dazu geführt, dass 90 Prozent der Arbeitsplätze weggefallen sind. Später ist dann die Werftenindustrie untergegangen, was Auswirkungen bis heute hat. Die Menschen in meiner Region wären froh gewesen, wenn es eine staatliche Strukturkommission gegeben hätte, die diesen Wandel gestaltet hätte. Was ich damit sagen will ist, dass es die Menschen verdient haben, dass nicht einfach überholte Strukturen zerschlagen werden, sondern dass man ihnen auch eine Perspektive gibt, wie es danach weitergeht. Dass die Strukturwandelkommission dafür einen Pfad gefunden hat – und zwar einstimmig – ist schon eine Sensation.
Die betroffenen Bundesländer sollen bis 2038 vom Bund 40 Milliarden Euro erhalten. Wie sollte das Geld investiert werden?
Da macht die Kommission ja klare und wie ich finde gute Vorschläge. Ein Teil des Geldes soll den Ländern direkt gegeben werden, damit sie damit die Regionen nach den örtlichen Gegebenheiten stärken. Wie der Rest vergeben wird, entscheidet der Bund. Er orientiert sich dabei an den Vorgaben der Kommission.
Zurzeit wird etwa ein Viertel des in Deutschland verbrauchten Stroms aus Braunkohle produziert. 35 Prozent kommen bereits aus Wind, Sonne und Wasser. Wie lange wird es dauern, bis Deutschland vollständig auf Erneuerbare Energien setzen kann?
Ich bin ein Anhänger des 2030-Ziels, also bis 2030 65 Prozent des Energiebedarfs aus Erneuerbaren Energien abzudecken. Voraussetzung dafür, dieses Ziel zu erreichen, ist, dass wir jetzt einen verbindlichen Ausbaupfad festlegen. Wir müssen wissen, wieviel Zubau wir in welchem Bereich pro Jahr brauchen und dieses Ziel dann auch erreichen. Leider sind CDU und CSU in diesem Bereich nicht sehr konstruktiv. Wenn dieser Knoten durchschlagen ist und wir 2030 tatsächlich 65 Prozent unseres Strombedarfs aus Erneuerbaren Energien decken, wird es aus meiner Sicht nicht bis 2050 dauern, bis wir komplett auf Erneuerbare Energien umgestiegen sind – einfach, weil die notwendige Infrastruktur dann schon vorhanden ist.
Das heißt, dass Deutschland künftig nicht mehr auf Gas angewiesen sein wird?
Deutschland sollte nicht anstreben, eine All-Electric-Society zu werden. Das heißt, dass wir neben den Erneuerbaren Energien auch eine Gasinfrastruktur brauchen. Allerdings bedeutet das nicht, dass es sich dabei um Erdgas handeln sollte. Im Moment müssen Windkraft- oder Solaranlagen immer wieder gedrosselt werden, weil die produzierte Energie nicht abgenommen werden kann. Das wird noch zunehmen. Eine Möglichkeit wäre, die Energie in Gas umzuwandeln und so zu speichern. Allerdings muss dafür erst die Technik entwickelt werden. Deshalb sollten wir da jetzt einsteigen. Mein Ziel ist, dass Deutschland in diesem Bereich Weltmarktführer wird und damit der Welt zeigt, dass es möglich ist, sich klimaneutral zu verhalten und trotzdem eine Wirtschaftsnation zu bleiben.
Die Vorschläge der Strukturwandelkommission liegen seit drei Monaten vor und müssen nun noch in Gesetze gegossen werden. Wann ist es soweit?
Der Zeitplan sieht vor, dass der Bundestag zunächst das Strukturwandelgesetz beschließen wird. Wir wollen nicht zuerst die Kohlkraftwerke abschalten und dann irgendwann später regeln, was danach kommt. Wer aussteigt, muss auch woanders einsteigen. Deshalb werden wir den Strukturwandel einleiten und dann in der zweiten Jahreshälfte den Kohleausstieg beschließen. Beides wird also in diesem Jahr kommen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.