Joans letzte Chance
Er sitzt im Garten, freut sich darüber, dass die Kartoffelpflanze, die er in eine leere Kokosnussschale gepflanzt hat, zu treiben beginnt. „Es ist eine Gnade, dass ich das hier erleben darf“, sagt er. Ein Satz, der nicht einfach so dahingesagt ist. Denn eigentlich dürfte er gar nicht hier sein. Wahrscheinlich wäre er längst schon tot. Seit Februar befindet er sich im Kirchenasyl. Es ist seine letzte Chance auf Leben.
Er, das ist Joan. In seiner Heimat Syrien herrscht Bürgerkrieg. Er war selbst Teil davon. Unmittelbar nach der Schule wird der muslimische Kurde aus dem Nordosten des Landes zum Militärdienst eingezogen. Ohne eine Ausbildung zu haben, geschweige denn eine Wahl.
Anderthalb Jahre dient er in der syrischen Armee. Er muss in der Zeit erleben, wie einer seiner besten Freunde neben ihm stirbt, in Kämpfen wird er selbst schwer verwundet, bis heute trägt er Granatsplitter im Rücken. Schließlich soll er sogar auf Zivilisten schießen, auf Alte und Kinder. Joan sieht nur eine Möglichkeit, um all dem zu entkommen. Er desertiert.
„Du musst weiter nach Europa“, rät ihm sein Onkel
„Ich hatte großes Glück“, sagt Joan heute. Im November 2012 verlässt er sein Heimatland in Richtung Türkei. Ihm bleiben eine kleine Reisetasche, eine Hose, zwei T-Shirts, sein Handy, ein paar Fotos, viele seelische und körperliche Narben.
Gut ein Jahr verbringt er in der Türkei. Ohne wirkliche Perspektive. „Du musst weiter nach Europa“, rät ihm sein Onkel. Seine einzige Chance auf ein besseres Leben will Joan nutzen. Sein Traum von einem Leben in Würde endet jedoch vorerst abrupt in Bulgarien.
Er wird von der dortigen Polizei aufgegriffen und ist somit gezwungen, seinen Asylantrag im Land zu stellen. Sein Schicksal. Denn Bulgarien, das per Definition der Europäischen Union als „sicherer Drittstaat“ gilt, in dem die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention als gegeben angesehen wird, erwartet Joan mit nichts von alledem.
„Ich hatte die Wahl, in Bulgarien wie ein Hund auf der Straße zu leben und wie ein Hund totgetreten zu werden oder vor Hunger zu sterben oder direkt nach Syrien zurückzugehen, um mich erschießen zu lassen“, sagt er. Als Deserteur droht ihm zuhause in Syrien der Tod. Da ist sich Joan sicher. Er flieht also weiter.
„Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, Menschen zu helfen“, findet der Pastor
Über Serbien, Ungarn und Österreich gelangt er schließlich auf verworrenen und nicht bis ins letzte Detail nachvollziehbaren Wegen in die Erstaufnahmeeinrichtung im mittelfränkischen Zirndorf und von dort weiter in eine Gemeinschaftsunterkunft im nicht weit entfernten Schwabach. Die Lage erscheint aussichtslos, die Abschiebung nach Bulgarien steht schnell unmittelbar bevor.
Bis ihn ein Freund auf das dort von Ehrenamtlichen betriebene „Asyl-Café“ aufmerksam macht. Dessen Initiatorin handelt schnell und wendet sich an den Pfarrer der katholischen Gemeinde, mit der Bitte, Joan Kirchenasyl zu gewähren. „Ich musste nicht lange überlegen“, sagt Pfarrer Alois Ehrl. „Letztlich sollte es für uns Christen doch eine Selbstverständlichkeit sein, Menschen in ausweglosen Situationen, deren Leben bedroht ist, zu helfen.“
Viel Überzeugungsarbeit in der Gemeinde habe er nicht leisten müssen, sagt er. Schnell sei man sich einig gewesen, dass Handeln besser sei, als immer nur zu reden. Mit dem Kirchenasyl hat Joan Zeit gewonnen. Zeit, die für den jungen Syrer über eine Perspektive im Leben entscheidet, vielleicht sogar über Leben und Tod.
Sein Traum: In Frieden leben
Hält sich Joan länger als sechs Monate in Deutschland auf, ist man hierzulande für die Prüfung seines Asylantrages zuständig und nicht mehr in Bulgarien, seinem ersten „Ankunftsland“ in Europa. Mitte Juni ist es soweit. Bis dahin lebt Joan noch gemeinsam mit einem jungen Pfarrpraktikanten im Kaplanshaus der Gemeinde.
Ins Gemeindeleben ist er bereits fest integriert. Wo es geht, packt Joan mit an und will etwas zurückgeben. Geld vom Staat bekommt er für die Zeit des Kirchenasyls nicht. Einmal in der Woche geben ihm zwei Lehrer aus der Gemeinde Deutschunterricht, seine Verpflegung finanziert zum überwiegenden Teil eine junge Frau.
Melanie, sein Engel, wie Joan sagt. Täglich kommt sie bei ihm vorbei. Das Grundstück der Pfarrgemeinde darf Joan nicht verlassen. Würde er außerhalb aufgegriffen, verlöre das Kirchenasyl seine Wirksamkeit und er könnte sofort abgeschoben werden. Die Sache mit Melanie. Lange habe er überlegt, ob er überhaupt davon erzählen solle, sagt Joan. Er wolle nicht, dass ein falscher Eindruck entstehe.
„Natürlich möchte ich sie irgendwann heiraten. Aber erst dann, wenn ich offiziell in Deutschland bleiben darf“, fügt er hinzu. Inschallah, so Gott will, werde er in Deutschland Fuß fassen können. Sein Traum: In Frieden leben, sich mit Arbeit ein eigenes Leben in Deutschland aufbauen und seine Schwestern und seine Mutter in Sicherheit nach Deutschland bringen zu können. „Für mich ist es die letzte Chance“, sagt Joan. „Wenn mein Asylantrag in Deutschland abgelehnt wird, gehe ich zurück nach Syrien.“ Seine angepflanzten Kartoffeln müssten dann andere ernten.
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