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Jetzt zeigen Fakten, warum die GroKo besser ist als ihr Ruf

Eine wissenschaftliche Studie belegt, wie „rekordverdächtig“ schnell und effizient die Bundesregierung arbeitet. Besonders die SPD könnte mit den Studienergebnissen zu ihren Erfolgen zufrieden sein. Doch die Wähler nehmen die Fakten nicht mehr zur Kenntnis. Kompromisse sehen viele generell negativ.
von Lars Haferkamp · 19. August 2019
Die GroKo unter Lupe: Die Bertelsmann-Stiftung und das Wissenschaftszentrum Berlin haben am 19. August 2019 eine wissenschaftliche Halbzeitbilanz der großen Koalition vorgelegt.
Die GroKo unter Lupe: Die Bertelsmann-Stiftung und das Wissenschaftszentrum Berlin haben am 19. August 2019 eine wissenschaftliche Halbzeitbilanz der großen Koalition vorgelegt.

Die im Koalitionsvertrag festgelegte Zwischenbilanz wird erst im Oktober von SPD und Union gezogen. Doch bereits jetzt legen die Bertelsmann-Stiftung und das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) eine gemeinsame Bilanz nach 15 Monaten großen Koalition (GroKO) vor. „Eine vorläufige“, wie Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung deshalb am Montag betont.

61 Prozent der Versprechen umgesetzt

Die Stiftung hat zur Pressekonferenz eingeladen in ihre Repräsentanz an Berlins Prachtboulevard Unter den Linden. Und was sie hier präsentieren kann, hat es in sich. Kurz gefasst: Die GroKo hält, was sie verspricht. Nach nur 15 Monaten Regierungstätigkeit „hat sie bereits 61 Prozent ihrer Versprechen aus dem Koalitionsvertrag vollständig oder teilweise umgesetzt oder zumindest substantiell in Angriff genommen“, so die Studie. Das sei deutlich mehr als die Vorgängerregierung geschafft hatte, da seien es nämlich nur 49 Prozent zur Halbzeit gewesen.

Robert Vehrkamp, Direktor des Programms „Zukunft der Demokratie“ der Bertelsmann-Stiftung, spricht deshalb von einer „rekordverdächtigen Halbzeitbilanz“. Er wagt eine Prognose: „Arbeitet die große Koalition in ihrem jetzigen Tempo weiter, könnte sie bis zum Ende der Legislaturperiode fast alle ihrer Versprechen eingelöst haben.“

SPD hat viel aus ihrem Wahlprogramm durchgesetzt

Besonders die SPD hätte nach der wissenschaftlichen Untersuchung Grund zur Zufriedenheit. Die Studie zeigt: 73 Wahlversprechen des Koalitionsvertrages stammen aus dem Wahlprogramm der Sozialdemokraten, nur 32 aus den Programmen von CDU und CSU. 46 Versprechen kommen sowohl aus den Programmen der SPD als auch der Union. Und auch bei der Umsetzung der Wahlversprechen liegt die SPD vorne: 33 ihrer Vorhaben sind bereits umgesetzt, bei der Union sind es nur mit 14 nicht einmal die Hälfte. Von den gemeinsamen Versprechen sind 17 umgesetzt.

Das Problem: Der Wähler nimmt diese Erfolge schlicht nicht zur Kenntnis. Nur jeder Zehnte der Befragten ist der Meinung, dass die Versprechen des Koalitionsvertrages zu einem „großen Teil“ eingelöst werden. Fast 80 Prozent glauben hingegen, dass von den Vorhaben der Regierungsparteien „kaum welche“ oder lediglich „etwa die Hälfte“ umgesetzt wurden. 

Wähler orientieren sich nicht mehr an Fakten

Dabei hat die Einhaltung von Versprechen für die Wähler eine hohe Bedeutung. Fast 90 Prozent der Befragten sagen, das sei ihnen „wichtig“ oder sogar „sehr wichtig“. Aber selbst von den Anhängern von Union und SPD glauben nur 20 Prozent, die Regierung würde alle oder einen großen Teil ihrer Versprechen umsetzen. Ein besonderes Problem für die Regierungsparteien: 51 Prozent der Unions-Anhänger und sogar 57 Prozent der SPD-Anhänger glauben, die GroKo hätte nur „einen kleinen Teil/ kaum welche“ ihrer Versprechungen umgesetzt.

Wie erklärt sich die Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Ergebnissen des Regierungshandelns und den von den Bürgern wahrgenommenen? Robert Vehrkamp nennt die negative Bewertung der Befragten „nicht angemessen“. Eine Ursache für ihn: „Der Kompromiss genießt einen schlechten Ruf.“ Das sei „ein ganz ganz wesentlicher Punkt“. Wenn der Kompromiss nicht mehr als Stärke der Demokratie angesehen, sondern als „faul“ denunziert werde, sei dies gefährlich für die Demokratie. Vehrkamp spricht von einem „tiefsitzenden Missverständnis“ über die Bedeutung des Kompromisses bei vielen Bürgern.

Erfolge der Parteien besser kommunizieren

So sähen nur ein Drittel der Befragten den Zwang zum Kompromiss als akzeptablen Grund, wenn Parteien ihre Vorhaben nicht einhundertprozentig durchsetzen könnten. Der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hatte bereits in der ersten großen Koalition unter Angela Merkel (2005-2009) auf dieses Dilemma hingewiesen. Er hatte es 2008 als „unfair“ bezeichnet, wenn Koalitionsparteien danach bewertet würden, ob sie auch 100 Prozent ihrer Ziele durchsetzen könnten. Dafür war Müntefering seinerzeit hart attackiert worden.

Was kann nun getan werden, um die Akzeptanz demokratischer Politik zu verbessern? Wolfgang Schröder vom Wissenschaftszentrum Berlin empfiehlt den Parteien, den Koalitionsvertrag und die Regierungserfolge „besser zu kommunizieren“. Das heißt, mehr zu erklären, wie und warum welche Ziele verfolgt und umgesetzt werden.

Experte: „Keinen Anlass, die GroKo aufzukündigen“

Schröder weist darauf hin, dass es Wissenschaftler waren, die nun eine faktenbasierte Zwischenbilanz der GroKo vorgelegt hätten, nicht die Parteien. Darüber hinaus wünscht er sich von Meinungsforschern und Medien, bei Umfragen nicht nur Meinungen über Politik zu veröffentlichen, sondern dazu immer auch in einer Art „Faktenevidenz-Barometer“ die Tatsachen zu publizieren.

Ob SPD und Union die Studienergebnisse bei ihrer Zwischenbilanz der GroKo im Oktober nutzen? Die Wissenschaftler haben bereits jetzt eine ziemlich klare Einschätzung. Für Robert Vehrkamp von der Bertelsmann-Stiftung wäre es auf jeden Fall „sehr schwer vermittelbar für die Wähler, eine gut funktionierende Koalition in der Mitte der Legislaturperiode abzubrechen“. Wolfgang Schröder vom Wissenschaftszentrum Berlin formuliert es noch klarer: „Aus der Bilanz, die hier vorgelegt liegt, gibt es keinen Anlass, die GroKo aufzukündigen.“

Die kommissarischen SPD-Vorsitzenden haben sich am Montag schon zu der Bilanz der Bertelsmann-Stiftung geäußert.

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Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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