Innenminister Ralf Stegner (SPD) warnt vor neuer Kleinstaaterei
Interview mit Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD), von Lars Haferkamp:
Herr Minister, in der SPD wächst die Kritik, dass die Föderalismusreform den Ländern die alleinige Kompetenz im Bildungsbereich zubilligt. Ein Programm der Bundesregierung zur Förderung der
Ganztagsschulen wäre dann nicht mehr möglich. Was ist Ihre Meinung?
Eine Grundzuständigkeit der Länder für die Bildung ist vernünftig, sie hat sich in den letzten Jahren bewährt. Falsch finde ich eine Alleinzuständigkeit der Länder. Das würde nämlich
bedeuten, dass der Bund keinerlei Möglichkeiten mehr hat, Bildungspolitik zu gestalten, wie etwa durch ein Ganztagsschulprogramm. Dieses Programm aber war gerade für die finanzschwachen Länder eine
sehr große Hilfe. Die Föderalismusreform soll die Länder insgesamt stärken, und nicht die finanzschwachen Länder weiter benachteiligen. Genau das würde aber passieren, wenn es künftig
Bundesprogramme wie das zur Förderung der Ganztagsschulen nicht mehr geben dürfte. Das würde einseitig zu Lasten der finanzschwachen Länder gehen und ihre finanzielle Benachteiligung weiter
verschärfen. Deshalb sollte es hier Änderungen am bestehenden Entwurf zur Föderalismusreform geben.
Wie konnte es denn zu der von Ihnen kritisierten Benachteiligung der finanzschwachen Länder kommen? Die haben doch zahlenmäßig die Mehrheit gegenüber den großen, finanzstarken
Ländern.
Der Verhandlungsführer der Länder war Edmund Stoiber. Er hatte in erster Linie die Interessen Bayerns im Auge. Es scheint, als wolle Herr Stoiber mit der so ausgestalteten Föderalismusreform
und der Absage an jedwede Veränderung die finanzschwachen Länder zu einer Zwangsfusion oder in eine Haushaltsnotlage treiben. Das können wir nicht hinnehmen.
Jedes Land soll künftig selbst entscheiden über die Höhe seiner Beamten-Besoldung. Heißt das, die reichen Länder haben bald die besten Beamten und die armen Länder das Nachsehen?
Das ist einer von vielen Kritikpunkten. Es drohen Wettebewerbsnachteile für die finanzschwachen Länder, etwa in der Konkurrenz um exzellente Hochschullehrer oder Polizeibeamte. Ich warne vor
einem Besoldungswettlauf. Hinzu kommt, dass wir die Mobilität der Beamten einschränken, es wird dann noch schwerer für einen Lehrer oder Polizisten, von Land A zu Land B zu wechseln. Wir schaffen
neue Kleinstaaterei. Das wäre das Gegenteil von Entbürokratisierung und ein wahrer Schildbürgerstreich. Ich kann keinen Sinn darin sehen, dass wir künftig bis zu 17 verschiedene Regelungen zur
Beamtenbesoldung und -versorgung haben sollen. Wir Sozialdemokraten würden außerdem dadurch dazu beitragen, den Flächentarifvertrag im öffentlichen Dienst noch weiter auszuhöhlen. Das wäre das
Gegenteil dessen, wofür wir im Bundestagswahlkampf eingetreten sind und was bei der Koalitionsvereinbarung in Berlin erreicht wurde.
Im Umweltrecht können die Länder künftig vom Bundesrecht abweichen. Droht hier eine Zersplitterung des Umweltrechts zu Lasten von Wirtschaft und Verbrauchern?
Diese Gefahr besteht, trotz der Kompromisse und Entschärfungen, die mittlerweile gefunden wurden. Wir haben ja jetzt schon die Situation, dass Wirtschaftsförderer damit werben: Kommen Sie
nach Baden-Württemberg, hier sind die Umweltstandards niedriger als anderswo! Einen solchen Dumpingwettlauf können wir nicht hinnehmen. Er benachteiligt ökologisch verantwortliche Betriebe und die
Verbraucher. Eine solche Entwicklung würde durch die vorliegenden Vorschläge zur Föderalismusreform noch weiter verschärft. Das kann doch niemand wollen.
Welche Chancen sehen Sie denn, dass es noch zu Änderungen bei der Föderalismusreform kommt?
Wenn man die Föderalismusreform haben will - und ich will das - dann wird man nicht beliebig viele Veränderungen erreichen können. Obwohl einige Vorschläge, wie zum Beispiel die geplanten
Veränderungen beim Strafvollzug oder Heimrecht überhaupt nicht sinnvoll sind, wird es schwer sein, aber immerhin: Die demokratisch fragwürdige Position, das Ganze sei ein Paket, das überhaupt nicht
mehr verhandelbar sei, weicht ja allmählich immer mehr auf. Das kann ich sowohl in der SPD-Bundestagsfraktion und als auch im SPD-Parteivorstand erkennen. Das freut mich. Und es macht mich
optimistisch, dass wir wichtige Änderungen noch erreichen können. In welchen Punkten, das werden die nächsten Wochen und Monate zeigen.