Industrie 4.0: Wie human geht digitale Arbeit?
Immer wieder gerät der Versandhändler amazon wegen fragwürdiger Arbeitsbedingungen in die Schlagzeilen. Bei einer ver.di-Digitalisierungskonferenz in Berlin berichtet ein Betriebsrat von amazon nicht nur vom arbeiten im Akkord, sondern von der ständigen Kontrolle, die durch die Digitalisierung der Arbeit möglich wird. Dadurch, dass die Mitarbeiter an einem Scanner gebunden sind, der sekundenweise Daten erfasst, ist auch ihre Arbeitsleistung einer permanenten Überwachung unterworfen. So kommt es vor, dass Arbeitnehmer, die aus welchen Gründen auch immer für zwei bis drei Minuten innehalten, zu zeitnahen Gesprächen gebeten oder sogar mit einer Abmahnung bedroht würden.
Datenschutz am Arbeitsplatz
Doch nicht die Arbeitsbedingungen bei amazon stehen bei der zweitägigen Konferenz „Würde, Selbstbestimmung, Solidarität und Gute Arbeit in der digitalen Gesellschaft verwirklichen“, zu der die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) eingeladen hat, im Fokus. Eine Finanzbeamtin berichtet vom großen Umbruch in der Verwaltung. Papierakten würden abgeschafft und digitalisiert, die Software frage Daten ab, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, alle ausgebildet im Steuerrecht, setzten nur noch Zahlen ein. „Der PC ist der Chef, ich arbeite ihm zu, nicht umgekehrt“, sagt sie. Gespräche untereinander fänden nur noch bei EDV-Problemen statt. Und auch sie fordert einen garantierten Datenschutz für die Kolleginnen und Kollegen.
„Der Überwachung müssen Grenzen gesetzt werden“, erklärt ver.di-Chef Frank Bsirske. Er schlägt vor, die Nutzer der Daten stärker in die Verantwortung zu nehmen und den Datenschutz unter Big-Data-Bedingungen zu stärken. Auch Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will den Beschäftigungsdatenschutz zum Thema machen. Denn durch neue Analysetechniken und der Entbetrieblichung der Datenverarbeitung entstünden neue Gefahren für die Persönlichkeitsrechte. Ein zeitgemäßer Beschäftigungsdatenschutz werde benötigt, das Betriebsverfassungsgesetz befände sich auf dem "Niveau von Arbeit 3.0", sagt sie.
Humaner Fortschritt statt Profitmaximierung
Nahles beschreibt den tiefgreifenden Wandel durch die digitale Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft als janusköpfig. Es gebe Entwicklungen die positiv seien, beispielsweise, dass Menschen von schweren Arbeiten befreit würden, erklärt sie. Auf der anderen Seite nennt sie die Gefahr der Prekarisierung durch Crowdworking, dem Arbeiten ohne soziale Absicherung. Widersprüche ergeben sich aber auch, "weil wir Arbeitnehmer und Kunden gleichzeitig sind". Gute Dienstleistungen und gute Arbeit gehören zusammen, sagt Nahles. Es müssten vernünftige Kompromisse erzielt werden. Nahles: „Paradebeispiel hierfür sind die Gewerkschaften.“
Doch ver.di-Chef Bsirske weiß um die Schwierigkeiten: "Das Potenzial des digitalen Fortschritts zu heben wird nicht leicht sein", ist er überzeugt. Und die Zeit drängt: 92 Prozent der Arbeitsplätze in Medien und Kultur, 82 Prozent in Energieunternehmen und 71 Prozent im Handel sind schon „digital ausgestattet“. Vor allem Dienstleister treiben diese Entwicklung voran. Neben dem Schutz der Persönlichkeitsrechte gelte es die Beschäftigungsfähigkeit durch Qualifizierung zu sichern und die durch Digitalisierung und Automatisierung ermöglichten Produktivitätssteigerungen umzuverteilen, um neue Beschäftigung zu schaffen und soziale Dienstleistungen auszubauen. Bsirske: „Der Fortschritt der Produktivkräfte müsse zu einem humanen Fortschritt führen und dürfe nicht alleine der Profitmaximierung dienen.“
INFO: Eine gemeinsame Erklärung von ver.di und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales "Nächste Schritte für Gute Arbeit in der digitalen Gesellschaft" finden Sie hier.
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.