Impfpflicht ab 60: „Wir setzen auf Aufklärung und Beratung.“
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Ihre Gruppe hat für eine Impfpflicht ab 18 geworben. Die „Gruppe Ullmann“ wollte eine Impfpflicht ab 50. Nun haben Sie sich auf eine Impfpflicht ab 60 geeinigt. Wie kam es dazu?
Die Antragssteller der zweiten Gruppe haben vor allem auf eine Pflicht zur Beratung gesetzt. Nur wenn diese nicht gefruchtet hätte, so der Vorschlag, könne der Bundestag im Sommer noch eine Impfpflicht für alle ab 50 beschließen. Unser Antrag hingegen sah den sofortigen Start einer Impfpflicht vor, um damit eine gute Vorsorge bis zum Herbst zu ermöglichen und bisher ungeimpften Personen die Zeit für eine vollständige Impfreihe zu lassen. Für den Kompromiss haben wir uns auf eine altersbedingte Stufung geeinigt, die eine sofort greifende Impfpflicht für alle ab 60 vorsieht. Dabei haben wir die Experteneinschätzungen aus der öffentlichen Anhörung berücksichtigt. Dort war die Altersgrenze von 50 als eher willkürlich kritisiert worden. Der Beginn bei 60 Jahren hingegen wurde als medizinisch sinnvoll und als verfassungsrechtlich angemessen eingestuft. Denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen ab diesem Alter durch eine Covid-Infektion gesundheitlich besonders gefährdet sind.
Es ist das Wesen eines Kompromisses, dass man sich aufeinander zubewegen muss. Das Ergebnis ist aus meiner Sicht tragfähig, gut begründet und berücksichtigt überzeugende Argumente aus den verschiedenen Gruppen. Das gemeinsame Ziel – eine hohe Grundimmunität zu erreichen – war dabei wegweisend.
Wo sehen Sie bei der Beratung noch Ungeimpfter Verbesserungsbedarf?
Wir haben es ja bisher nicht ausreichend geschafft, alle Menschen von einer Impfung zu überzeugen – obwohl wir seit über einem Jahr über sichere und wirksame Impfstoffe verfügen. Aber das ließe sich noch ändern. Denn neben dem harten Kern von Impfverweigerern, die man auch mit fundierten wissenschaftlichen Argumenten und guter medizinischer Aufklärung wohl nur schwer erreichen kann, gibt es viele, die aus anderen Gründen noch nicht geimpft sind. Zu diesen Gründen gehören Sprachbarrieren, Angst vor der Spritze oder durch Fehlinformationen geschürte Vorbehalte. Diese Menschen wollen wir mit einer Beratungspflicht erreichen, damit sich viele von ihnen über den Sommer hinweg doch noch impfen lassen und wir so den Gesamtschutz der Gesellschaft ausreichend erhöhen, um für mögliche neue Varianten besser gewappnet zu sein. Wir setzen also auf Aufklärung und Beratung.
Zurzeit entspannt sich die Corona-Lage deutlich. Warum ist da eine Steigerung der Impfzahlen überhaupt noch notwendig?
In der Debatte zur Impfpflicht war immer klar, dass es nicht um die Bewältigung der aktuellen Welle geht. Wegen der bereits erreichten Impfquote und durch die geringere Zahl schwerer Verläufe bei Omikron sind wir bisher einigermaßen glimpflich durch diese Welle gekommen. Doch niemand weiß, wie sich das Virus bis zum Herbst entwickelt. Es ist Zeit, Vorsorge zu treffen und vor die nächste Welle zu kommen. Wir wollen nicht, dass das gesellschaftliche Leben erneut beschränkt werden muss; dass Grundrechte wieder eingeschränkt werden, dass Kinder wieder zuhause bleiben müssen. Um das zu verhindern, muss die Grundimmunität erhöht werden und damit müssen wir jetzt beginnen, wenn wir einen dritten unkontrollierten Pandemieherbst verhindern wollen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.