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Immun gegen faule Kompromisse: Zum Tode von Hildegard Hamm-Brücher

Sie ließ fast niemanden kalt: lange Zeite polarisierte die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher die deutsche Politik. Zeit ihres Lebens verteidigte sie Demokratie und Frauenrechte. Jetzt ist Hildegard Hamm-Brücher im Alter von 95 Jahren gestorben.
von Renate Faerber-Husemann · 9. Dezember 2016

Was für ein Leben! Es war Stoff für mehr als einen Roman. Man liebte Hildegard Hamm-Brücher oder lehnte sie ab, gleichgültig war sie nur wenigen. Ihre Lebensthemen waren die Stabilisierung der Demokratie, der Kampf gegen Rechts, ein kompromissloser Einsatz für die Gleichberechtigung von Frauen und für eine Bildung, die allen offen stand. 54 Jahre war sie in der FDP, von Theodor Heuss für die Partei angeworben. Ausgetreten ist sie 2002 wegen der „rechtspopulistischen, antiisraelischen und tendenziell Antisemitismus schürenden Agitation“ des damaligen Partei-Vizes Jürgen Möllemann.

Im „liberalen Strafvollzug“

Die promovierte Chemikerin, Jahrgang 1921, war eine der bekanntesten Politikerinnen der „alten“ Bundesrepublik – weit über die FDP hinaus identifizierten sich vor allem die Frauen mit ihr. Doch ab Herbst 1982 wurde es einsam um sie. Sie verweigerte sich, als Bundeskanzler Helmut Schmidt mitten in der Legislaturperiode gestürzt wurde, weil die FDP das Bett wechselte und Helmut Kohl zum Kanzler wählte. Sie forderte Neuwahlen statt eines „Machtwechsels ohne Wählervotum“. Die FDP hat ihr das nie verziehen. Sie kam, wie sie das selbst nannte „in den liberalen Strafvollzug“. Bis 1990 hielt sie es noch aus in ihrer Fraktion im Bundestag, doch sie fühlte sich ignoriert als Person und konnte mit ihren Themen nicht mehr punkten.

Vielleicht war es ihre dramatische Lebensgeschichte, die sie so stark gemacht hat, so immun auch gegen faule Kompromisse in der Politik: Die Eltern starben 1931 und 1932 und hinterließen sechs Kinder. Die vier jüngsten wurden zur Großmutter nach Dresden gebracht. Dann kamen die Nazis und 1935 die Nürnberger Rassegesetze. Die Kinder, aufgewachsen in strengem preußisch-protestantischen Milieu, erfuhren von ihrem Vormund „dass wir Halbjuden sind und die Großmutter als Volljüdin galt nach den Rassegesetzen“. Es begann eine Zeit der schlimmen Ausgrenzung in der Schule, und dem Vormund gelang es, die Kinder im Internat Salem am Bodensee unterzubringen. „Bis dann auch dort alle von den Nürnberger Rassegesetzen Betroffenen rausgeworfen wurden.“ Das Abitur konnte Hildegard Brücher dann ein Jahr später an einem Gymnasium in Konstanz machen.

Keine Angst vor selbsternannten Autoritäten

Es kam alles noch schlimmer: Im Februar 1942 sollte die Großmutter nach Theresienstadt deportiert werden und nahm sich das Leben. Hildegard Brücher lebte mit den jüngeren Geschwistern in München, studierte dort Chemie und gehörte zum Umfeld der „Weißen Rose“, der studentischen Widerstandskämpfer um die Geschwister Scholl, die 1943 hingerichtet wurden. Dass sie überlebt hat, sogar studieren und promovieren durfte, verdankte sie dem Direktor des Chemischen Staatsinstituts, Professor Heinrich Wieland, ein Nobelpreisträger, der sie schützte. An ihn trauten sich die Nazis nicht heran.

Wer unter solchen Umständen überlebt hat, der kennt keine Angst mehr vor selbsternannten Autoritäten. Hildegard Brücher stürzte sich nach 1945  in die Politik, wurde Stadträtin in München, Landtagsabgeordnete in Bayern und hatte als „die rote Hildegard“ bald einen Ruf wie Donnerhall. Anpassung und Diplomatie hatten nie zu den Stärken der späteren Staatsministerin im Auswärtigen Amt gehört. Das galt auch für ihr Privatleben. Sie führte eine lange, glückliche Ehe mit dem CSU-Politiker Erwin Hamm. Es begann mit einem Skandal: Als das Paar 1955 sein erstes Kind bekam, war Erwin Hamm, der katholische Konservative, noch nicht geschieden. Ein unglaublicher Skandal in den spießigen 50er Jahren, in denen Ehebruch noch strafrechtlich verfolgt wurde! Erst 1956 konnten die beiden leidenschaftlichen Politiker mit den höchst unterschiedlichen Ansichten heiraten. 52 Jahre waren sie zusammen, als ihr Mann mit 98 Jahren starb. Besonders bei ihrem Engagement für die volle Gleichberechtigung der Frauen konnte sie sich immer auf ihn verlassen. Warum das zu ihrem Lebensthema wurde, hat sie mit fast 90 Jahren einmal so erklärt:

„Zwei Mal im 20. Jahrhundert haben die Männer uns Frauen ins Unglück und in die totale Verzweiflung geführt und alles zerstören lassen oder selbst zerstört. Und da mussten wir Frauen ran. Ich war eine Frau, die erkannt hat, so geht es jetzt nicht noch mal, dass die Männer anfangen, uns herumzukommandieren und den Obrigkeitsstaat wieder in Betrieb zu setzen.“

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Autor*in
Renate Faerber-Husemann

(† 2023) war freie Journalistin in Bonn und Erhard-Eppler-Biografin.

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