Inland

Immer mehr Deutsche sind arm

von Karsten Wiedemann · 21. Oktober 2008
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Die Studie "Mehr Ungleichheit trotz Wachstum?" der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) belegt, dass die Armut in Deutschland inzwischen über dem Durchschnitt aller 30 OECD-Staaten liegt. Anfang der Neunziger Jahre hatte sie noch 25 Prozent unter OECD-Schnitt gelegen. Auch die Einkommensunterschiede hierzulande sind demnach gewachsen und haben mittlerweile fast OECD-Niveau erreicht. Die Forscher führen dies vor allem auf einen starken Anstieg der höheren Einkommen seit der Jahrtausendwende zurück.

Die Auseinanderklaffen der Einkommen sei nicht hilfreich für das Wachstum, betonte OECD-Generalsekretär Angel Gurría am Dienstag. "Sie macht es für talentierte und hart arbeitende Menschen schwerer, den Lohn zu erhalten, den sie verdienen." Diese mangelnde soziale Mobilität
beeinträchtige die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insgesamt.

Arme Kinder
Die wachsende Armut in Deutschland führt die OECD vor allem auf die sich verändernden Lebensgewohnheiten zurück. "In Deutschland hat der Anteil der Singles und der Alleinerziehenden in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen", so OECD-Experte Michael Förster. Kleinere Haushalte benötigen jedoch ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als größere, um denselben Lebensstandard zu erreichen. "Der Staat sollte Rahmenbedingen schaffen, die diesem Wandel gerecht werden", forderte der OECD-Forscher.

Das größte Armutsrisiko tragen in allen OECD-Staaten Kinder und Jugendliche. In Deutschland ist dieser Trend jedoch besonders ausgeprägt. So ist die Armutsquote bei Kindern seit Mitte der Neunziger Jahre um fünf Prozent auf 16 Prozent gestiegen - fünf Mal so schnell wie im OECD-Mittel. Das Armutsrisiko für ältere Menschen blieb dagegen stabil. Betroffen sind vor allem Kinder, die nur bei einem Erziehungsberechtigten leben. Neben Japan, Irland, USA, Kanada und Polen hat Deutschland hier im OECD-Schnitt die fünfthöchste Armutsquote.

Armutsrisiko Arbeitslosigkeit
Häufigster Grund für das Abrutschen in die Armut ist nach wie vor die Arbeitslosigkeit. Hier liegt Deutschland wiederum über dem Durchschnitt aller OECD-Staaten. Allein von 1995 bis 2005 sei der Anteil der Menschen, die in einem Erwerbslosenhaushalt leben, von 15,2 auf 19,4 Prozent
gestiegen und damit auf den höchsten Wert innerhalb der OECD.

Nötig sind nach OECD-Angaben Aktivierungsstrategien und finanzielle Anreize um Arbeit aufzunehmen. Die Hartz-IV-Reformen der Bundesregierung wiesen diesbezüglich in die richtige Richtung, so die Forscher. Soziale Transfers wirkten in Deutschland, wie in allen OECD-Staaten, armutsmindernd. Ohne Transferleistungen wäre die Armut in Deutschland doppelt so hoch. Um diese durchschnittlichen Effekte zu erreichen, werden laut OECD allerdings vergleichsweise große Summen aufgewendet. "Das deutsche Umverteilungssystem ist mit Blick auf Armutsvermeidung nicht übermäßig zielgerichtet", so OECD-Mann Förster.

www.oecd.de

Autor*in
Karsten Wiedemann

Redakteur bei vorwaerts.de bis September 2009, jetzt Redakteur bei Neue Energie, dem Magazin des Bundesverbands für Windenergie

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