Inland

Im Mittelpunkt müssen die Menschen stehen

von Ursula Engelen-Kefer · 7. Mai 2010
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Nach mehreren Anläufen hat sich die schwarz-gelbe Bundesregierung mit der SPD auf eine Änderung des Grundgesetzes (durch Einfügung eines neuen Artikels 91 e) verständigt: Danach soll die Aufgabenwahrnehmung für die Organisation der Grundsicherung für Arbeitssuchende von Bund und Ländern/Kommunen in gemeinsamen Einrichtungen erfolgen. Damit kann die mit Hartz IV angestrebte einheitliche Betreuung Langzeitarbeitsloser und ihrer Bedarfsgemeinschaften auch zukünftig fortgeführt werden.

Wichtig ist, dass insoweit Klarheit über die Zukunft der Job Center geschaffen wurde, dass sie zumindest "in der Regel" die vorrangige Organisationsform der Stellen für Grundsicherung bleiben sollen. Für die über 60 000 Beschäftigten ist wichtig, dass sie zum großen Teil mit dem Fortbestand ihrer Arbeit oder bei Bildung neuer Optionskommunen mit Übernahme rechnen können.

Allerdings bestehen weiterhin erhebliche Unsicherheiten über das tatsächliche Ausmaß sowie die Bedingungen der Übernahme. Hilfreich ist, dass gleichzeitig die Haushaltssperre bei den finanziellen Mitteln für die Arbeitsmarktpolitik von 900 Mio. Euro für 2010 aufgehoben wird und der Betreuungsschlüssel (Fallmanager zu Langzeitarbeitslosen) bei Jugendlichen (U25) auf 1 zu 75 sowie für Erwachsene auf 1 zu 150 erneut bekräftigt wurde.

Schwachstellen des Kompromisses

Positiv zu bewerten ist die gesetzliche Klärung der Organisation und Personalhoheit in den gemeinsamen Stellen - bei Fortbestehen der Verantwortlichkeit und Weisungsbefugnis der BA bzw. Kommunen für ihre jeweiligen Aufgabenbereiche. Erhebliche Probleme bestehen jedoch in der weitgehenden Eigenständigkeit der gemeinsamen Einrichtungen sowie vor allem der starken Stellung ihrer Trägerversammlungen. Zu befürchten ist hierdurch eine Erschwerung und Verzögerung bei den Entscheidungen der Geschäftsführung und damit der Förderung und Eingliederung der betroffenen Arbeitslosen. Weiterhin gibt es erhebliche Unklarheiten und Irritationen bezüglich der Weiterbeschäftigung und Übernahme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Aufrechterhaltung einer wirksamen Personalvertretung im Bereich der BA.

Der Bundesrechnungshof hat in einem Schreiben an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages auf verschiedene Schwachstellen des neuen Kompromisses hingewiesen:

Die bisherigen Probleme der geteilten Verantwortlichkeiten zwischen Bund (BA) und Kommunen bleiben weitgehend bestehen. So gibt es auch in Zukunft keine einheitliche Struktur der Zielvorgaben, des Controlling und entsprechend der Anpassungs- und Verbesserungsprozeße sowie -verfahren durch kontinuierlichen Erfahrungsaustausch. Mit derartigen Verfahren, die in jahrelanger Kleinarbeit bei den Arbeitsagenturen praktiziert wurden, konnte die Arbeitsvermittlung im SGB II Bereich wirksamer gestaltet werden.

Durch die Entfristung der bestehenden 69 Optionskommunen und Erweiterung auf 110 wird eine einheitliche Organisation der Grundsicherung dauerhaft aufgegeben. Erschwert wird dies noch weiter durch die unterschiedlichen Zulassungsvoraussetzungen bei den Optionskommunen. Die bestehenden 69 Optionskommunen müssen zwar Zielvereinbarungen mit den zuständigen Landesbehörden treffen und die notwendigen Daten an die BA übermitteln. Sie brauchen jedoch nicht die Eignungsprüfungen zu erfüllen, die für die neu zu bildenden Optionskommunen gelten sollen.

Durch die Stärkung der Rolle der Länder werden die Zulassung neuer Optionskommunen sowie Steuerung und Aufsicht bei den kommunalen Trägern in Optionskommunen unterschiedlich gehandhabt werden.

Die Vielfalt der vorgesehenen Zielvereinbarungen wird in der Praxis schwer zu gestalten und vor allem zu beaufsichtigen sein. Vor allem werden der Bund und damit auch die BA keine ausreichenden Steuerungsmöglichkeiten haben, "um auf eine ordnungsgemäße, wirksame und wirtschaftliche Leistungserbringung hinzuwirken".

Nicht ausgeschlossen sind mit diesem Kompromiss zudem erneute Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht auf weitere Zulassung von Optionskommunen. Wer will denn sicher stellen, dass die Formulierung im Grundgesetz - "In der Regel" sollen die Grundsicherungsstellen für Arbeitssuchende "gemeinsame Einrichtungen" sein - die Ausweitung von Optionskommunen bis zu höchstens einem Viertel aller diesbezüglichen Einrichtungen begrenzt. Die Unsicherheit über die Zukunft in den gemeinsamen Job Centern ist mithin nicht beseitigt.

Die Neuregelungen im Einzelnen finden Sie als PDF-Datei im Anhang.

Bisherige Entwicklung (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt):
Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in Hartz IV ab 2005 ist die größte und am meisten umstrittene Sozialreform in der Bundesrepublik. Einer der bis heute schwelenden Streitpunkte, der sich quer durch die Parteien und Ebenen der Gebietskörperschaften, aber auch der Tarifparteien zieht, ist die Organisation der Stellen für Grundsicherung. Dabei geht es um die Einflussnahme des Bundes und der Bundesagentur für Arbeit mit ihrer Koordination von zentraler Organisation und Steuerung sowie dezentralen arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen in den über 170 Arbeitsagenturen und ihren mehr als 600 Geschäftsstellen einerseits sowie der 16 Bundesländer und über 12 000 Kommunen andererseits. Nach langem Ringen wurde zwischen dem Bundestag mit rot-grüner Mehrheit und dem von CDU und CSU dominierten Bundesrat folgender Kompromiss erreicht, der ab 2005 in Kraft getreten ist: (1)Grundsätzlich erfolgt die Betreuung der Hartz IV Empfänger in den Arbeitsgemeinschaften aus Arbeitsagenturen und Sozialämtern (Argen). Darüber hinaus wurden 69 Optionskommunen zugelassen, in denen die Betreuung der Langzeitarbeitslosen alleine von der Kommune organisiert wird. Weiterhin findet in 23 Fällen die getrennte Aufgabenwahrnehmung für Hartz IV in Arbeitsagenturen einerseits und Sozialämtern andererseits statt. (2)Gleichzeitig verpflichtete der Gesetzgeber die Bundesregierung, innerhalb von fünf Jahren- bis zum 31.12.2010 zu prüfen, welche Organisationsform effizienter arbeite. Auf dieser Grundlage sollte entschieden werden, ob diese unterschiedlichen Organisationsformen fortgeführt werden. Die Einführung der 69 Optionskommunen neben den Argen war somit als "Experimentierklausel" konzipiert. (3)Ende 2007 hat das Bundesverfassungsgericht über die Klage des Landkreistages gegen die Argen entschieden und sie als Mischverwaltungen für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, bis Ende 2010 eine verfassungsfeste Lösung zu finden. (4)Die Bundesregierung (Große Koalition ab Oktober 2005) konnte sich trotz ihrer komfortablen Mehrheit sowie verschiedener Anläufe des damaligen Bundesarbeitsministers, Olaf Scholz(SPD), nicht auf eine einvernehmliche Lösung einigen. Diese hätte eine Änderung des Grundgesetzes zur Ermöglichung der Mischverwaltung zwischen Bund und Bundesagentur auf der einen Seite sowie der Bundesländer und Kommunen auf der anderen Seite erforderlich gemacht.

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Ursula Engelen-Kefer

Dr. Ursula Engelen-Kefer leitet den Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband Deutschland. Von 1990 bis 2006 war sie stellvertretende Vorsitzende des DGB.

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