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IG Metall im digitalen Wandel: „Wir müssen Arbeitsplätze sichern und gestalten“

Der digitale Wandel bringt Veränderungen mit sich: Eine große Herausforderung wird sein, die Gesellschaft zusammenzuhalten, sagt Michael Schmitzer von der IG Metall. Eine andere, Arbeitsplätze zu erhalten und zu gestalten. Er fordert ein soziales Netz, das den Faktor Arbeit absichert.
von Vera Rosigkeit · 23. Juni 2016
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Die IG Metall blickt in diesem Jahr auf 125 Jahre zurück. Welche zentrale Errungenschaft ist heute noch in den Betrieben spürbar?

Die zentralsten Errungenschaften sind die Solidarität und der Zusammenhalt zwischen den Kolleginnen und Kollegen. Das Bewusstsein, dass man sich gemeinsam auch gegen Bedingungen wehren kann, die als alternativlos dargestellt werden.

Welche Themen beschäftigen junge Arbeitnehmer, was treibt sie um?

Die Arbeitsplatzsicherheit ist weiterhin Thema Nummer eins. Insbesondere die Jüngeren wollen natürlich wissen, wie es nach ihrer Ausbildung weitergeht. Durch den technologischen Wandel ist die Frage, ob meine Qualifikation auch in 10, 15 Jahren noch gebraucht wird, in der Prioritätensetzung ganz weit nach oben gestiegen. Auch wächst bei den unter 35-Jährigen das Bedürfnis, über leistungsgerechte Bezahlung zu sprechen. Und gut ausgebildete Leute wollen sich nicht damit zufrieden geben, erst fünf Jahre in Akkord zu arbeiten, bevor sich für sie eine Perspektive ergibt.

Es ist ja viel vom Fachkräftemangel die Rede. Wirkt sich das positiv auf die Arbeitsbedingungen aus?

Wir merken das am Ausbildungsmarkt. Die Auswahl an offenen Stellen nimmt zu. Mit fünf Prozent Jugendarbeitslosigkeit haben wir im europäischen Kontext eine vergleichsweise bessere Beschäftigungslage. Doch die individuelle Wahrnehmung, dass sich der Fachkräftemangel auf das eigene Fortkommen positiv auswirkt, ist für Jugendliche kaum spürbar. Das hängt damit zusammen, dass Arbeitgeber nicht genau wissen, wie sich die Produktionsprozesse im Zuge von Industrie 4.0 verändern, um dementsprechend qualifizieren zu können.

Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung der Arbeitswelt mit sich?

Die größte Herausforderung wird sein, Arbeitsplätze zu erhalten und zu gestalten. Wir müssen darauf achten, dass Menschen weiterhin beschäftigt sind und einen Job haben, von dem sie auch leben können. Neben der Forderung nach mehr Lohn brauchen wir mehr Möglichkeiten für die Freistellung zur Weiterbildung.

Viele hoffen auf mehr Zeit­souveränität?

Das hoffen wir auch. Aber die Erfahrung zeigt, dass Arbeitgebern mehr daran gelegen ist, Prozesse zu vereinfachen und die Produktivität zu erhöhen. Wir müssen deshalb vor allem darauf achten, dass die Arbeitszeit nicht völlig entgrenzt, weil die Kollegen am Abend oder am Wochenende mal schnell noch am PC zu Hause arbeiten.

Was sind aus ihrer Sicht die Themen der Zukunft?

Wenn sich Produktionsmodelle und Gesellschaft durch den digitalen Wandel ändern, brauchen wir vor allem Zusammenhalt und Gestaltungsmöglichkeiten. Denn es wird eine große Herausforderung sein, den Wert Solidarität zu leben, wenn es zu einer gesellschaftlichen ­Fragmentierung kommt.

Insbesondere nach den schockierenden Ergebnissen jüngster Landtagswahlen müssen wir uns fragen: Wie schaffen wir es, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und mehr Gerechtigkeit herzustellen? Wie können wir die scheinbar gefühlte Realität entkräften, die derzeit dazu führt, die eigene Unzufriedenheit auf eine dritte, unbeteiligte Gruppe zu projizieren?

Wir müssen dagegenhalten. Was wir brauchen ist ein sicheres soziales Netz für alle Erwerbsformen von dual Studierenden bis hin zum Crowdworker und Soloselbstständigen. Ein Netz, das den Faktor Arbeit absichert.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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