vorwärts-online: Die großen Energiekonzerne planen aktuell den Neubau von 45 neuen Kohle- und Gaskraftwerken in den nächsten acht Jahren. Die technische Lebensdauer von Großkraftwerken
beträgt im Schnitt etwa 40 Jahre. Wird damit nicht eine Chance auf den Umstieg verbaut?
Hermann Scheer: Auf jeden Fall. Die Strategie der Großen ist widersinnig und in dieser Größenordnung nicht nötig. Mein Ziel ist eine stärker dezentral strukturierte Energiewirtschaft. Wir
könnten schon längst einen großen Schritt weiter sein. Ich halte die Energiewende unmittelbar für machbar.
Die 17 Atomkraftwerke in Deutschland liefern 26 Prozent des Strombedarfs. Die Energiewirtschaft schürt Ängste, Wind und Sonne allein könnten diese Lücke nicht schließen. Was halten Sie dem
entgegen?
Das Argument ist unsinnig und soll allein den Mythos der Unverzichtbarkeit von Atomenergie und fossilen Energien hochhalten. In meinem Buch "Energieautonomie" belege ich, dass ein schneller
und umfassender Umstieg möglich ist.
In Ihrem Memorandum "Jenseits von Kohle und Atom" äußern Sie die Überzeugung, Deutschland könne bis 2040 komplett auf Ökostrom umstellen. Könnten die erforderlichen Energiemengen wind- und
wetterabhängig überhaupt zuverlässig bereitgestellt werden bis in die letzten Winkel der Republik?
Das Argument wird gern von den Blockierern angeführt, aber es ist nur ein Scheinargument. Speichermöglichkeiten gibt es viele. Aber die Speicherinvestitionen folgen dem bedarf, nicht
umgekehrt. Außerdem kann man den Speicherbedarf durch intelligentes verbrauchsorientiertes Netzmanagement deutlich reduzieren.
Die Diskussion um die Zukunft der Kohle war innerhalb der SPD immer auch eng verknüpft mit der Sorge um die Sicherung vieler Arbeitsplätze. Welche Auswirklungen wird der von Ihnen
propagierte beschleunigte Umstieg auf Erneuerbare Energien auf den Arbeitsmarkt haben?
Sicherlich sehr positive: Es sind schon jetzt viele neue Arbeitsplätze entstanden in der Sonnen- und Windkraft. Und diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Denn wir spüren schon jetzt, dass
das deutsche Know-how in der ökologischen Stromerzeugung uns weltweit einen Technologievorsprung sichert. Die Schwellenländer müssen schon heute prozentual einen unerträglich hohen Aufwand für
Energiekosten schultern. Das kann nur zu Konflikten führen - oder zu einer Nachfrage nach regenerativ erzeugter Energie.
Interview: Mechthild vom Büchel
Weitere Infos:
www.energy-switch.de
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