Inland

Hubertus Heil: „Kurzarbeit über den Jahreswechsel hinaus verlängern“

Am Dienstag berät der Koalitionsausschuss über das Kurzarbeitergeld. Hubertus Heil will es wegen der Corona-Krise über das Jahr hinaus verlängern. Arbeitnehmer*innen sollen die Zeit der Kurzarbeit auch zur Weiterqualifizierung nutzen.
von Vera Rosigkeit · 24. August 2020

Wie viele Jahre wird es noch dauern, bis wir bei 12 Euro Mindestlohn sind?

Umgesetzt wird jetzt zunächst die schrittweise Erhöhung von derzeit 9,35 Euro auf 10,45 Euro bis zum Jahr 2022. So der Beschluss der Mindestlohnkommission. Das reicht mir aber nicht. Mein Vorschlag ist, dass wir den Mindestlohn stärker an der Entwicklung mittlerer Einkommen orientieren und so der Mindestlohnkommission Kriterien mitgeben, damit wir die 12 Euro schneller erreichen.

Der Mindestlohn kann aber immer nur eine Untergrenze sein. Wenn wir zu fairen Löhnen kommen wollen, gerade für diejenigen, die jetzt immer als Helden des Alltags gefeiert werden, brauchen wir Anreize für mehr Tarifbindung. Wo ein Tarifvertrag ist, sind die Löhne und Gehälter in der Regel besser. Dazu werde ich im Herbst ebenfalls konkrete Vorschläge machen.

Stichwort Tarifbindung: Was kann Politik da tun?

Einer meiner Vorschläge wird sein, dass wir öffentliche Aufträge des Bundes endlich an Tarifbindung koppeln. Es kann nicht sein, dass wir mit Steuergeld Tarifflucht unterstützen. Die meisten Bundesländer kennen Tariftreuegesetze, der Bund noch nicht.

Dass Sie Druck machen können, haben Sie beim Skandal um die Fleischindustrie bewiesen. Die Arbeitsbedingungen dort sind erschreckend – und das mitten in Deutschland. Wie schnell lässt sich das ändern?

Diese ausbeuterischen Verhältnisse waren vor Corona schon ein Problem. Dabei hat bereits meine Amtsvorgängerin Andrea Nahles 2017 ein relativ scharfes Gesetz auch für die Fleischindustrie vorgelegt. Aber wir haben immer wieder erlebt, dass im parlamentarischen Verfahren Lobbyisten versucht haben, die Gesetze beim Arbeitsschutz, aber auch bei Lohn- und Gehalt abzuschleifen.

Mit unserem Gesetzentwurf haben wir nun für klare Regeln gesorgt. Das betrifft das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Branche, weil das eine Ursache des Übels ist. Es betrifft aber auch klare Standards für Unterkünfte und digitale Arbeitszeiterfassung. Es wird höhere Prüfquoten für die zuständigen Behörden in den Bundesländern geben. Und wir verdoppeln den Strafrahmen bei Zuwiderhandlung auf bis zu 30.000 Euro.

Lässt sich das per Gesetz denn gut kontrollieren?

Das Gesetz ist das eine. Im Kern aber geht es um Verantwortung der Arbeitgeber für ihre Beschäftigten, die sie nicht mehr über Werkvertragskonstruktionen delegieren können. Es geht zudem um die Verantwortung der Bundesländer, die mit ihren zuständigen Arbeitsschutzbehörden kontrollieren müssen. In vielen Bundesländern, auch in Nordrhein-Westfalen, ist der Arbeitsschutz kaputtgespart worden. Deshalb gibt es jetzt die verpflichtenden Prüfquoten.

Das Thema gehört aber auch auf die Tagesordnung der europäischen Arbeits- und Sozialministerien. Und ich werde unsere Ratspräsidentschaft nutzen, um hier voran zu kommen.

Mit dem Lieferkettengesetz hat Deutschland einen Vorstoß gemacht, unmenschliche Arbeitsbedingungen auch international zu sanktionieren. Europa will das 2021 beschließen. Warum der nationale Weg vorab?

Weil wir mit gutem Bespiel vorangehen müssen. Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in Europa und es geht um unternehmerische Verantwortung nicht nur für faire Arbeitsbedingungen, sondern auch im Kampf gegen Kinderarbeit.

Es gibt viele Unternehmen, die sich für ein solches Liefergesetz stark machen, weil sie sagen, „wir halten uns an unsere menschenrechtliche Sorgfaltspflicht“, aber es verzerrt den Wettbewerb, wenn es andere nicht tun.

Kommen wir zur Kurzarbeit, von der mehr als sechs Millionen Menschen betroffen sind. Es gibt den Plan, die Kurzarbeiterregelung auf 24 Monate auszuweiten. Wovon hängt diese Entscheidung ab?

Im internationalen Vergleich ist Deutschland bisher auch dank Kurzarbeit gut durch die Krise gekommen. Diese wird aber kaum am 1. Januar 2021 vorbei sein. Deshalb sollten wir die Brücke ‚Kurzarbeit‘ zunächst über den Jahreswechsel hinaus verlängern und sie im Jahr 2021 dann Stück für Stück zurückführen.

Da geht es zum einen darum, den vereinfachten Zugang zu Kurzarbeit zu verlängern. Zweitens brauchen wir die Möglichkeit, Kurzarbeit – wo notwendig – von 12 auf 24 Monate auszuweiten. Drittens will ich Kurzarbeit stärker mit Qualifizierung verbinden. Mit dem „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ haben wir die Instrumente geschaffen, um den Strukturwandel aktiv zu gestalten.

Unser Ziel muss sein, dass Beschäftigte von heute die Arbeit von morgen machen können. Deshalb ist es der richtige Weg, in Arbeit und Qualifizierung zu investieren und nicht in Arbeitslosigkeit.

Im Koalitionsvertrag ist auch die „Altersvorsorgepflicht“ für Selbständige vereinbart. Was ist das genau?

Es ist ein Kernversprechen des Sozialstaats, dass – wenn man ein Leben lang gearbeitet hat, ob abhängig beschäftigt oder selbständig – man eine Sicherheit im Alter hat. Dazu haben wir in dieser Legislatur schon mehrere Schritte gemacht.

Das eine war der Rentenpakt, mit dem wir das Rentenniveau gesichert haben. Das zweite ist jetzt die Einführung der Grundrente, die wir nach vielen Jahren endlich durchgesetzt haben. Und der dritte Schritt wird sein, dass wir die zunehmende Anzahl von Selbständigen, die nicht oder kaum fürs Alter vorsorgen, vernünftig absichern. Um im Herbst ein Gesetz vorzulegen, laufen die Arbeiten auf Hochtouren, denn ich bin entschlossen, das noch in dieser Koalition umzusetzen.

Das Recht auf Homeoffice soll auch noch im Herbst kommen….

Die Pandemie hat uns einen Großversuch in Sachen Homeoffice gebracht. Das war unfreiwillig und für viele Beschäftigte nicht besonders romantisch. Viele haben erlebt, dass Homeoffice und Homeschooling überhaupt nicht zusammengehen. Aber andere haben die Erfahrung gemacht, dass plötzlich möglich war, was früher für unmöglich erklärt wurde. Aus dieser Konsequenz sollten wir ein bisschen was lernen.

Wir müssen allerdings darauf achten, dass Homeoffice nicht zur Entgrenzung von Arbeit und Privatleben führt und auch nicht dazu, dass Menschen 24 Stunden zur Verfügung stehen. Mein Ziel ist, dass Arbeit stärker zum Leben passt.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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