Inland

HIV in der Arbeitswelt: Belastendes Versteckspiel

Wer Aids hat, muss oft gegen Vorurteile kämpfen. Besonders gilt das in der Arbeitswelt. Ein Großteil der HIV-Positiven bekennt sich am Arbeitsplatz nach wie vor nicht zur Infektion. Ein Versteckspiel, das belastet.
von Michael Kniess · 1. Dezember 2015
Welt-Aids-Tag
Welt-Aids-Tag

Der Arbeitskalender von Markus H. kennt keine Sonn- und Feiertage. Der 36-Jährige ist glücklicher Vater von zwei gesunden Kindern und managt einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Arbeitswelt von Martina T. besteht aus Paragrafen. Wovor anderen graut, davon schwärmt die 34-Jährige. Sie arbeitet als Rechtsanwaltsfachangestellte. Dazu kümmert sie sich um den Haushalt und ihren Sohn. Markus H. und Martina T.: Beide sind berufstätig. Beide leisten viel. Und: Beide sind HIV-positiv. Beide stehen mit beiden Beinen fest im (Berufs-)leben. Trotz ihrer Infektion.

HIV und Arbeit. Ein Thema, viele Fragen. Muss ich meinem Arbeitgeber von der Infektion erzählen? Bekomme ich ein Gesundheitszeugnis für eine Tätigkeit in der Gastronomie? Bei diesen Fragen ist Nathalie Deufel oft erste Anlaufstelle. Sie ist Sozialpädagogin beim „SkF-Treff“ des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Freiburg, einer Beratungsstelle für HIV-positive Frauen und deren Angehörige. In der Beratungsarbeit steht immer häufiger das Thema „Arbeit“ im Mittelpunkt.

Mehr als doppelt so viele HIV-Infizierte wie vor 15 Jahren

Sowohl bei Martina T. als auch bei Markus H. liegt die Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze. Heute leben nahezu doppelt so viele Menschen mit HIV beziehungsweise AIDS in Deutschland, als noch vor 15 Jahren. Die Mehrzahl der Menschen mit HIV in Deutschland arbeitet. Nicht zuletzt deshalb haben sich auch die Aufgaben der Beratungsstellen geändert. Standen einst die Themen Sterben, Tod und Trauer im Fokus, sind es nun Fragen nach der Zukunftsgestaltung.

In den Köpfen vieler Menschen sind dagegen auch heute noch die Bilder von Erkrankten aus den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren präsent, als es noch keine Therapiemöglichkeiten wie heute gab. Diese Erfahrung macht Nathalie Deufel im Beratungsalltag immer wieder. „Heute wird die Thematik in der breiten Öffentlichkeit ja leider außer rund um den Welt-AIDS-Tag kaum noch wahrgenommen“, sagt sie. „Daher sind bei vielen Menschen aus Unwissenheit noch immer viele Vorurteile in den Köpfen manifestiert.“

Fest im Berufsleben verankert, trotz Aids-Infektion

Erfahrungen wie diese haben auch Martina T. und Markus H. dazu bewogen, ihre Erkrankung am Arbeitsplatz zu verschweigen. „Ich habe meine Arbeitsleistung immer voll gebracht und nur danach möchte ich auch beurteilt werden“, sagt Markus H. „Ich will nicht, dass gefragt wird, ob ich mit der Erkrankung überhaupt belastbar bin und meine Arbeit zuverlässig erfüllen kann.“ Auch Martina T. hat Angst vor den klischeebehafteten Bildern in den Köpfen der Menschen.

„Ich behalte meine Erkrankung derzeit für mich, spiele aber mit dem Gedanken, sie zur Sprache zu bringen“, sagt sie. Inzwischen habe sie eine sehr gute Menschenkenntnis und könne einschätzen, wer damit umgehen könne und wer nicht. Die Atmosphäre an ihrem Arbeitsplatz schätzt sie als so familiär und offen ein, dass sie keine Nachteile fürchtet. Auch diese Beispiele gibt es.

„Eine solche Offenheit würde ich mir für alle Betroffenen wünschen“, sagt Nathalie Deufel. Denn das Versteckspiel ist belastend. „Man erzählt ja generell nicht gerne von einer schweren Erkrankung, bei HIV kommen der Stress und die Angst dazu, stigmatisiert zu werden, wenn es herauskommt.“ Noch immer ist die Erkrankung ein weit verbreitetes gesellschaftliches Tabu.

Angst vor der Diskriminierung durch Kollegen

Diese Erfahrung macht auch Ralph Mackmull regelmäßig. Der systemische Berater betreut in der AIDS-Hilfe Freiburg HIV-positive Menschen, darunter Markus H. „Die Betroffenen möchten sich keinen ständigen unangenehmen Fragen aussetzen müssen und zudem nicht ihre Leistungsfähigkeit infrage gestellt bekommen.“ Diese Rückmeldung bekommt er von seinen Klienten immer wieder.

Denn noch immer setzen viele Personalverantwortliche gleich: Eine HIV-Infektion bedeutet eine höhere Ausfallquote und verminderte Leistungsfähigkeit. Eine Annahme, die längst widerlegt ist. Infizierte Arbeitnehmer sind bei einer erfolgreichen HIV-Therapie genauso leistungsfähig wie ihre Kollegen.

„Letztlich ist es ein Selbstschutz, sich nicht zu outen“, sagt Ralph Mackmull: gegenüber dem Arbeitgeber, um seine Anstellung nicht zu gefährden, gegenüber den Kollegen, um nicht im Ansehen bei diesen abzurutschen. Ein Schutz, der neue Probleme mit sich bringt. Wie erklärt man die regelmäßigen Arzttermine zur Blutentnahme und zu Kontrollgesprächen? Wie bekommt man es hin, die Medikamente über den Tag verteilt unauffällig einzunehmen?

„Wir würden uns wünschen, dass unsere Krankheit wieder verstärkt ein Gesicht bekommt und nicht abstrakt bleibt“, sagen Martina T. und Markus H. „Wir sind ganz normale Menschen, die ein ganz normales Leben führen.“ Als Koch, der im Lieblingsrestaurant Tag für Tag Exquisites auf den Tisch zaubert. Als Arzt, der Tag für Tag am OP-Tisch das Leben anderer rettet. Als Pilot, der einen sicher von A nach B bringt.

node:vw-infobox

Schlagwörter
Autor*in
Michael Kniess

ist freier Journalist und Autor.
www.michaelkniess.de

0 Kommentare
Noch keine Kommentare