Hilft die Tolerierung einer Minderheitsregierung der SPD aus dem Dilemma?
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Am Montag, direkt nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche für eine Jamaika-Koalition, waren die Fronten klar. „Wir stehen angesichts des Wahlergebnisses vom 24. September für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung“, beschloss der SPD-Parteivorstand einstimmig. Neuwahlen scheue man nicht, betonte Parteichef Martin Schulz.
Forderungen nach Sondierungen mit der Union
Nach der Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion am Dienstag schien die Position dagegen nicht mehr so eindeutig. „Eine große Koalition mit klaren Zielen und mehr SPD Themen würde z.B. mehr soziale Gerechtigkeit, bessere Situation in der Pflege, gute Arbeit, stabile Rahmenbedingungen für Investitionen in der Wirtschaft und Stabilität für unser Land bedeuten“, gab ihr wirtschaftspolitischer Sprecher Bernd Westphal auf seiner Facebook-Seite zu bedenken. Andere Abgeordnete schlugen in dieselbe Kerbe.
Und auch an der Parteibasis gibt es Stimmen, die zumindest Sondierungsgespräche mit CDU und CSU fordern. So sprach sich der SPD-Unterbezirk Landkreis Harburg in Niedersachsen bereits am Montagabend „mit sehr großer Mehrheit“ dafür aus, das Gespräch mit der Union zu suchen. Der Unterbezirksvorsitzende Thomas Grambow verwies dabei auf die „gesellschaftliche Verantwortung, welche die SPD zu tragen habe“.
PL: SPD lässt sich keine GroKo-Debatte aufzwingen
Die Parlamentarische Linke lehnt dies ab. „Wer ohne Not eine Neuauflage einer Koalition mit der Union fordert, setzt auf das falsche Pferd“, teilte der Zusammenschluss linker SPD-Bundestagsabgeordneter mit. Die SPD lasse sich „keine Debatte über ein Ja oder Nein zur großen Koalition aufzwingen“ – zumal es neben einem Bündnis mit der Union und Neuwahlen „zahlreiche Möglichkeiten“ gebe.
Eine dieser Möglichkeiten scheint sich bei den Sozialdemokraten immer mehr durchzusetzen: die Tolerierung einer Minderheitsregierung von CDU und CSU. Ins Spiel gebracht hatte diese bereits am Montag das „Netzwerk Berlin“, ein Zusammenschluss progressiver SPD-Bundestagsabgeordneter. Die Bundesregierung würde in diesem Fall über keine feste Mehrheit im Parlament verfügen, sondern müsste sich diese vor jeder Abstimmung neu suchen.
Vorbilder für Minderheitsregierungen in Hessen und NRW
„Eine Minderheitsregierung hat in Hessen und NRW gut funktioniert“, betont Nordrhein-Westfalens SPD-Vorsitzender Michael Groschek. Damit diese nicht zu einem Vabanque-Spiel wird, schlägt er einen „Stabilitätspakt“ zwischen CDU/CSU und SPD vor, in dem sich die Parteien darauf verständigen könnten, in zentralen Punkten gemeinsam abzustimmen. Hessens SPD-Vorsitzender Thorsten Schäfer-Gümbel verweist auf die Erfahrungen in seinem Bundesland. In Hessen war 2008 eine geschäftsführende Regierung unter CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier im Amt. „Wir haben viele kluge Gesetze beschlossen, weil wir über den Inhalt diskutiert haben im hessischen Landtag jenseits von Koalitionsverträgen. Das war eine Stärkung der Demokratie“, erinnert sich Schäfer-Gümbel.
Unterstützung bekommen Groschek und Schäfer-Gümbel für ihren Vorschlag auch von der SPD-Basis. „Die SPD muss sich als starke Opposition positionieren und eine Regierung Merkel konstruktiv in einem Stabilitätspakt begleiten“, fordert die „Pragmatische Linke NRW“, der Realo-Flügel der nordrhein-westfälischen Jusos, in einem Positionspapier, das dem „vorwärts“ vorliegt. Eine Koalition mit der Union lehnen auch die pragmatischen Jusos ab. Der erneute Eintritt in eine große Koalition unter Führung von Angela Merkel „würde unsere Glaubwürdigkeit zerstören und unserer Partei einen dauerhaften Schaden zufügen“.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.