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Hilde Mattheis: Die Entscheidungslösung erhöht die Bereitschaft zur Organspende

Zwei Gesetzentwürfe zur Organspende liegen dem Bundestag zur Abstimmung vor. Hilde Mattheis hat einen Entwurf zur Entscheidungslösung eingebracht. Er setzt weiter auf eine freiwillige und ausdrückliche Zustimmung der Menschen zu einer späteren Organspende.
von Hilde Mattheis · 15. Januar 2020
Hilde Mattheis: Die SPD-Bundestagsabgeordnete bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Gesetzentwurfes zur Entscheidungslösung am 6. Mai 2019 in der Bundespressekonferenz in Berlin.
Hilde Mattheis: Die SPD-Bundestagsabgeordnete bei einer Pressekonferenz zur Vorstellung des Gesetzentwurfes zur Entscheidungslösung am 6. Mai 2019 in der Bundespressekonferenz in Berlin.

Der Bundestag stimmt am Donnerstag über die Frage ab, wer, wie in Deutschland zur Organspender*in wird. Diese Abstimmung wurde nötig, nachdem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im vergangenen Jahr erklärte, dass er die Widerspruchsregelung in Deutschland einführen will. Der Zeitpunkt war insofern verwunderlich, da der Bundestag in großer Einigkeit im Frühjahr 2019 eine Reform der Organspende beschlossen hat, um damit die Strukturen im Transplantationswesen zu verbessern. Noch bevor absehbar ist, ob diese Reform greift, schob der Minister den nächsten Vorstoß hinterher. Seitdem behaupten er und andere, nur die Widerspruchsregelung könne die Organspenderate verbessern und wecken Hoffnung bei den Patient*innen. Diese Hoffnung ist trügerisch und nicht von Fakten gedeckt.

Deutschland hat zu wenig Organspenden

Alle Abgeordnete eint der Befund, dass wir nicht genügend Organspenden in Deutschland haben und wir die Organspenderate verbessern wollen. Wir unterscheiden uns aber in dem Weg, wie wir dahin kommen. Wir haben den Gesetzentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende initiiert, um den Weg der Vertrauensschaffung, Stärkung von Transparenz und Beratung sowie Verbesserung der Strukturen weiterzugehen. Wir wollen, dass die Organspende den Charakter einer Spende behält, das heißt, dass sie auch weiterhin eine aktive, selbstbestimmte und freiwillige Entscheidung der*des potentiellen Spender*in benötigt.

Wir sind der Meinung, dass eine Widerspruchsregelung diesen Charakter der Organspende fundamental verändert und damit die Selbstbestimmung des Menschen über den eigenen Körper unzulässig einschränkt. Wie im Gesetzentwurf zur Widerspruchsregelung zu lesen, gehen die Befürworter*innen von einer „Zustimmungsfiktion“ aus, also einer Zustimmung zur Entnahme der Organe, die nie erfolgte, eben bloße Fiktion ist. Nun könnte man einwenden, dass mit dem geplanten Anschreiben der Bevölkerung und einer Werbekampagne doch alle Menschen in Deutschland wüssten, wie die Rechtslage wäre und sich also bewusst auch gegen die Organspende entscheiden könnten.

Doppelte Widerspruchslösung ist Etikettenschwindel

Wir wissen aber aus einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2018, dass rund Zweidrittel der Bevölkerung heute trotz bisheriger umfangreicher Werbekampagnen zur Organspende nur unzureichend über das Thema informiert sind. Nichts deutet darauf hin, dass sich dies mit dem Gesetz zur Widerspruchsregelung ändert. Der Schluss liegt nahe, dass die Widerspruchsregelung eher auf die Trägheit der Menschen setzt, wie es in der Anhörung im Gesundheitsausschuss von einem Sachverständigen formuliert wurde. Sprich: Selbst wenn sich nicht viele Menschen mit dem Thema befassen, ist es egal, denn es werden ja alle automatisch Organspender. Die sog. doppelte Widerspruchsregelung, wie sie ihre Befürworter*innen nennen, ist zudem ein Etikettenschwindel. Doppelt suggeriert, dass auch die Angehörigen mit entscheiden können. Sie haben aber – anders als heute – kein Entscheidungsrecht, sondern sollen lediglich als Zeugen, nicht Entscheider mitteilen, ob ihnen ein Widerspruch bekannt ist.

Dass die Widerspruchsregelung überhaupt eine Trendwende bringen könnte, halte ich für sehr fraglich. Zwar werden gerne Vergleiche anderer Länder herangezogen, die das beweisen sollen. Diese sind aber meist einseitig, da verschwiegen wird, dass es Länder mit Widerspruchsregelung und noch schlechteren Zahlen als Deutschland gibt und zudem nur schlecht vergleichbar, da in vielen europäischen Ländern Organe auch nach Tod durch Herzstillstand entnommen werden, während hierzulande nur und ausschließlich der Hirntod als Voraussetzung für die Organspende gilt.

Der spanische Weg sollte unser Vorbild sein

Ein interessantes Beispiel ist das weltweit führende Land in der Organspende, Spanien, das ich gemeinsam mit Vertreter*innen des Gesundheitsausschusses vor zwei Jahren besucht habe. Spanien führte 1979 die Widerspruchsregelung ein und 10 Jahre lang änderten sich die Zahlen dort nicht. Erst in den 90er Jahren schnellten die Organspenderaten nach oben, nach dem die Organisation des Transplantationssystems grundlegend geändert und konsequent verbessert wurden. Spanien ist heute Meister bei Organisation, Transparenz und Vertrauen der Bevölkerung in das Organspendesystem. Die de jure Widerspruchsregelung wird de facto nicht mehr angewandt, da sie – wie die Verantwortlichen selbst sagen – das Vertrauen der Bevölkerung eher beschädigen würde.

Wir sollten uns den spanischen Weg zum Vorbild nehmen. Wir wollen mit unserem Gesetz eine regelmäßige Befragung der Bevölkerung, nämlich bei den Pass- und Meldebehörden und eine zusätzliche Beratung beim Hausarzt*in sowie die Einrichtung eines Onlineregisters zusätzlich zum bestehenden Organspendeausweis. Wir müssen außerdem die Strukturen und Organisation evaluieren und weiter verbessern. Wir müssen das Vertrauen der Bevölkerung in das System weiter stärken. Damit schüren wir keine falschen Hoffnungen, sondern helfen den Menschen, die auf den Wartelisten auf ein lebensrettendes Organ warten.

Den Text über den alternativen Gesetzentwurf zur doppelten Widerspruchslösung finden Sie hier

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Hilde Mattheis
Hilde Mattheis

ist seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzende des Vereins „DL21 – Forum Demokratische Linke“.

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