Inland

Herz statt Hetze: Es bleibt ein fader Beigeschmack

Bei der Demo „Herz statt Hetze“ hat Chemnitz am Samstag sein weltoffenes Gesicht gezeigt. Bei Sabine Sieble bleibt trotzdem ein fader Beigeschmack. Wir dürfen im Kampf gegen Rechtsextremismus nicht den falschen die Hand reichen, mahnt die Chemnitzer Sozialdemokratin.
von Sabine Sieble · 3. September 2018
placeholder

Sechs Tage nach dem gewaltsamen wie sinnlosen Tod eines 35-Jährigen am Rande des Chemnitzer Stadtfestes und den darauf folgenden erschreckenden Bildern eines durch die Straßen wütenden rechtsextremen Mobs veranstaltete ein breites Bündnis am Samstag die Kundgebung „Herz statt Hetze“. Laut und bunt sollte sie sein, vor allem sollten es mehr Menschen sein – mehr als bei der Gegendemonstration am 27. August, als 1500 Chemnitzerinnen und Chemnitzer 6000 Teilnehmern der „ProChemnitz“-Demo gegenüberstanden, bei der mehrfach offen der Hitlergruß gezeigt wurde.

Ein gemeinsames Zeichen gegen Hetze

Und es sollten mehr sein, als AfD und Pro Chemnitz für diesen Samstag aufbieten wollten. Unter dem Hashtag #wirsindmehr wurde deshalb bundeweit mobilisiert. 80 Vertreterinnen und Vertreter aus Chemnitzer Vereinen, Stadtgesellschaft und Parteien, darunter auch die CDU, unterzeichneten den Aufruf. Zahlreiche prominente Unterstützer, darunter die Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig, und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kamen am 1. September, um gemeinsam ein Zeichen für Herz statt Hetze zu setzen.

„Wer sich dort einreiht, wo der Hitlergruß gezeigt wird, macht sich mit denen gemein.“ Für diese Worte erntete die Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig zu Beginn der Veranstaltung viel Applaus. Migrantenorganisationen mahnten, dass sie die Chemnitzer Zivilgesellschaft für ihre Arbeit an ihrer Seite wissen müssen. Und sogar ein Vertreter des Chemnitzer Fußballclubs, dessen rechte Ultra-Szene zu den Protesten unmittelbar nach dem schrecklichen Mord mit aufgerufen hatte, fand deutliche Worte gegen Rechts, forderte aber zugleich, nach den Gründen zu suchen, warum sich viele Menschen Rassisten zuwenden.

Als die Band „Madsen“ mit „Lass die Musik an“ ihren letzten Song auf der Bühne sang und davor die Menge tanzte und rote Herzen in die Höhe hielt, war die Stimmung auf dem Höhepunkt und Chemnitz zeigte nach Tagen, in denen viele nur eine hässliche Fratze sahen, ein friedliches Gesicht.

Befremdlicher Demotourismus

Und dennoch blieb bei mir nach der Kundgebung ein fader Beigeschmack. Ich habe mich über jeden gefreut, der uns in Chemnitz gewaltfrei und bunt unterstützt hat, der sich nach der Stadt, den Menschen und nach uns Sozialdemokraten vor Ort ehrlichen Herzens erkundigt und sich an unserer Situation, den Ereignissen und deren Auswirkungen auf Chemnitz interessiert gezeigt hat.

Mich hat gleichwohl manch fröhlich-unbedarfter Demotourismus befremdet und erst Recht eine militante Antifa. Als die Situation an unterschiedlichen Orten in der Stadt zu eskalieren drohte und auf unserer Demo eine Band mit ihren Songtexten und Ansprachen alles tat, um das Motto „Herz statt Hetze“ ins Gegenteil zu verkehren, habe ich geweint. Ich habe noch nie um meine Heimatstadt geweint. Ich hatte keinen Grund. Ich habe aber in dem Moment geweint, als mir bewusst wurde, dass Chemnitz zu einem bloßen Austragungsort im Kampf um die Deutungshoheit eines tragischen Ereignisses wurde.

Der Mensch, der getötet wurde, war da schon längst auf beiden Seiten in den Hintergrund getreten. Ebenso wenig ging es den Demotouristen oder der Antifa um die Stadt – darum, dass das, was wir hier erreicht haben, in einem Graben zu verschwinden droht, oder um die Frage, wie wir den Riss, der sich durch die Stadtgesellschaft zieht, wieder kitten können.

Nicht den falschen die Hand reichen

Was bleibt? Nüchtern betrachtet waren wir Chemnitzer an dem Tag auf der Demo weder mehr noch überzeugender. So richtig die Worte der Oberbürgermeisterin zu Beginn waren, umso weniger ist dieses Argument wert geworden. Denn ich hätte auch keine Antwort auf die Frage, warum ich auf einer Demo war, wo eine Band aufgetreten ist, die den Antideutschen nahesteht. Das nennt man wohl „einen Bärendienst erweisen“. Erneut ein so breites Bündnis zu initiieren, dürfte schwierig werden.

Und dabei können wir mehr und überzeugender sein. Wir müssen als Sozialdemokraten mit klarer Haltung und wahrhaftig für unsere Demokratie und ihre Werte einstehen und dürfen im Kampf gegen Rechtsextremismus nicht den falschen die Hand reichen, allein weil es „gegen rechts“ geht. Dann sind wir auch überzeugend(er) für die Mehrheit, die jetzt oftmals noch schweigt und die wir so dringend brauchen.

Autor*in
Sabine Sieble

ist Geschäftsführerin in der SPD-Regionalgeschäftsstelle Südwestsachsen in Chemnitz.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare