Inland

Herfried Münkler: Die Lehren aus der Asyldebatte

Die deutsche Gesellschaft hat eine Reihe von Problemen, zu deren Lösung Migration beitragen kann. Diese Chance zu nutzen anstatt einen ganzen Sommer lang Scheinprobleme zu diskutieren, ist nun Aufgabe der Regierungsparteien – meint der Politikwissenschaftler Herfried Münkler.
von Herfried Münkler · 20. August 2018
Refugees Welcome
Refugees Welcome

Die von der CSU im Frühsommer angezettelte Flüchtlingsdebatte beruhte auf einer Reihe von Fehleinschätzungen. Der Versuch, der AfD ihr wichtigstes Thema wegzunehmen, indem die CSU es selbst besetzte, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt: Wer gegen jede Aufnahme von Flüchtlingen ist, wird beim Original der Ablehnung von Fremden bleiben und nicht dessen späte Kopie wählen.

Des Weiteren wurden viele CSU-Wähler, die das Christliche am Parteinamen ernst nehmen, durch die abschätzige und grobe Sprache einiger CSU-Politiker irritiert und drohen nun mit politischer Abwanderung. Und schließlich wird eine Regierungspartei bei den mit der Migration verbundenen Problemen gegenüber einer Opposition, die auf die Angst der Menschen setzt, immer schwach aussehen. Und sie wird umso schwächer dastehen, je stärker sie sich rhetorisch aus dem Fenster lehnt. Derart gravierende strategische Fehler macht freilich nur, wer sich in Panik befindet. Ursächlich für die Panik in der CSU waren die Umfrageergebnisse zur nächsten Landtagswahl in Bayern.

Intergration erklären

Die SPD wiederum hat in der jüngsten Migrationsdebatte keine größeren Fehler gemacht – nur hat sie die gebotene Chance vertan, das Thema zu besetzen und in ihrem Sinn zu konturieren. So hätte sie in die Debatte eingreifen können, um das Thema Migration durch das einer Integration der Geflüchteten in die deutsche Gesellschaft zu ersetzen. Tatsächlich wird sich der Umgang mit den Herausforderungen der Migration nämlich durch den Erfolg der Integration entscheiden. Davon werden nicht nur die Integrierten, sondern auch die deutsche Gesellschaft einen erheblichen Nutzen haben.

Diesen Nutzen zu erklären, wäre die Aufgabe eines sozialdemokratischen Eingreifens in die Migrationsdebatte gewesen: Wie kann aus einer Migration, die von der politischen Rechten als Nullsummenspiel dargestellt wird und wonach die begrenzten Ressourcen der deutschen Gesellschaft nur einmal ausgegeben werden können, durch gelungene Integration eine Win-Win-Konstellation gemacht werden? Also Verhältnisse, von denen nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die seit langem hier Lebenden profitieren?

Einigkeit herstellen

Die deutsche Gesellschaft hat nämlich eine Reihe von Problemen, zu deren Bewältigung die Migranten beitragen können. Da sind die demographischen Lücken der letzten Jahrzehnte, als vor allem nach der Wiedervereinigung die Geburtenraten in Deutschland eingebrochen sind, der daraus resultierende Arbeitskräftemangel – vom Pflegenotstand bis zu den Lehrlingen im Handwerk – sowie die Gefährdung des Sozialstaats, wenn mehrere Jahrgänge hintereinander deutlich kleiner sind als die vorangegangenen. Und nicht zuletzt der Nachwuchs an Facharbeitern, an denen der Wohlstand des Landes hängt.

Zur Bearbeitung dieser Probleme können die in den Jahren 2015 und 2016 nach Deutschland Geflüchteten beitragen, wenn sie durch eine zielstrebige Ausbildung für den Arbeitsmarkt befähigt werden. Dazu bedarf es jedoch einer weitreichenden Zustimmung in der deutschen Gesellschaft, die herzustellen eine genuin sozialdemokratische Aufgabe ist. Als diese Debatte von Andrea Nahles in der zweiten Augusthälfte dann endlich angestoßen wurde, hatte sie das Momentum verpasst.

Keine Scheindebatten

Stattdessen hat zuvor eine Debatte stattgefunden, deren einziger Profiteur diejenigen waren, die jegliche Zuwanderung und jede Form von Integration ablehnen. Schlimmer noch: das Theater um den Fußballspieler Mesut Özil und das schlechte Abschneiden der Nationalmannschaft bei der WM in Russland haben dazu geführt, dass bereits erfolgte Integration in Frage gestellt wurde. So ist in Deutschland einen ganzen Sommer lang über Scheinprobleme diskutiert worden, und die wirklichen Probleme sind liegengeblieben.

Es mag Zeiten geben, in denen man sich das leisten kann. Zurzeit ist das nicht der Fall. Dass sich die CSU mit ihrer fatalen Themenwahl ins rechte wie ins linke Bein geschossen hat, ist ihr eigenes Problem; sie wird die Folgen dessen bei der bayerischen Landtagswahl zu spüren bekommen. Dass jedoch die Sozialdemokraten die Themen dieser Sommerdebatte nicht bestimmt hatten, sondern in der Zuschauerrolle bei einer vermeintlich unionsinternen Auseinandersetzung verblieben sind, war mehr als bloß ein parteipolitisch strategischer Fehler. Damit hat sich die SPD um das Land nicht verdient gemacht, wiewohl sie es leicht hätte tun können.

Autor*in
Herfried Münkler

ist Politikwissenschaftler und Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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