Inland

Helfen und genießen

von Taner Ünalgan · 12. November 2012

Fair gehandelte Produkte boomen. Sie schmecken gut und nebenbei hilft ihr Konsum den Menschen in ärmeren Ländern. Ein Besuch an der Weltläden-Basis im Ruhrgebiet.

Bereits als Student der Theologie beschäftigte sich Martin Müller mit fairem Handel. Als er schließlich doch nicht Pfarrer wurde, stellte sich für ihn die Frage, wie es in seinem Leben weitergehen sollte. Die Überlegung, einen Großhandel für fair gehandelte Produkte im Ruhrgebiet zu eröffnen, setzte er vor 15 Jahren in die Tat um. Dabei war eines von Beginn an klar: Der Verein wählt Müller zwar zum Geschäftsführer der Weltläden-Basis, wird ihn aber nicht bezahlen können. Müllers Verdienst musste also aus dem Verkauf der angebotenen Produkte kommen.

In der alten Zechen- und Kohlestadt Gelsenkirchen erwartet man eigentlich keinen der wenigen FairTrade-Großhandel – doch als gebürtigem Gelsenkirchener lag für Müller nichts näher, als direkt hier zu bleiben. Dabei gibt es ruhrgebietsweit lediglich rund 400 Weltläden und Aktionsgruppen, die meist sehr kleinteilig aufgebaut sind und aus kleinen Initiativen in Schulen und Kirchengemeinden bestehen.

Obwohl der größte Importeur fair gehandelter Lebensmittel und Handwerksprodukte in Wuppertal beheimatet ist, sieht Müller Nordrhein-Westfalen und speziell das Ruhrgebiet als „Entwicklungsland“, was den fairen Handel angeht. Dass der Bedarf an fair gehandelten Produkten steigt, ist nicht zuletzt daran erkennbar, dass der anfangs ehrenamtliche Verein vor sechs Jahren in eine professionelle GmbH umgewandelt wurde – die anfänglichen Kapazitäten waren erschöpft.

„Den Ärmsten der Armen helfen.“

Für Martin Müller gibt es zwei mögliche Zugänge zum fairen Handel – der eine ist politisch, typisch dafür seien die Solidaritätsaktionen mit Nicaragua und seinem Kaffee in den 70er-Jahren, der andere kirchlich, um den „Ärmsten der Armen“ zu helfen. Die Freude darüber, dass sich Gelsenkirchen auf den Weg gemacht hat, FairTrade-Town zu werden, ist bei Müller eindeutig erkennbar. Auch, weil von „fairem Handel sehr viele Menschen gehört haben“, aber keiner so richtig etwas wisse, sieht Müller pädagogischer Bildungsarbeit einen wesentlichen Aspekt von FairTrade.

FairTrade-Aktionsgruppen geht es um die Herkunftsländer der Produkte und um die Personen, die diese herstellen. Deshalb sind die Gruppen auch in Schulen aktiv, um den Jüngsten ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit im sozialen und ökologischen Sinne zu vermitteln. Für Müller ist klar: „Waren haben eine Geschichte und wer sie verschweigt, macht die Menschen einander fremd.“

Austausch von Erfahrung und Wissen

Dass es mittlerweile in einigen Supermärkten Produkte mit dem FairTrade-Siegel gibt, habe zwar einige Vorteile – so könnten sich die Produzentinnen und Produzenten über gesteigerte Umsätze durch die höhere Reichweite freuen – andererseits gäbe es aber eben auch Nachteile. Die Angebotspalette sei auf nur wenige Produkte begrenzt, während FairTrade eigentlich viel mehr biete. Die Bildungsarbeit könne außerdem nur aus dem „klassischen System“ kommen.

Zu ihren Produzenten sucht die stetig wachsende Fair-Trade-Szene den Kontakt, ermöglicht einen Austausch, vor allem von Wissen und Erfahrung. Kommt jemand aus den Produktionsländern zu Besuch nach Deutschland, wird ihm hier ein volles Programm geboten – erst zuletzt, während der „Fairen Woche“, sei eine junge Frau aus Indonesien zu Gast gewesen, die in 21 Tagen 40 Veranstaltungen besuchen konnte, erzählt Müller.

Weltwirtschaftskrise zeigt Wirkung

Dass FairTrade auch Entwicklungshilfe ist, verdeutlicht Müller am Beispiel von Kaffeebauern in Kolumbien: In einem klassischen Koka-Anbaugebiet seien durch das Engagement von Entwicklungshelfern biologische Kaffeeplantagen entstanden. Die örtlichen Bauern waren von amerikanischer Seite zuvor aufgefordert worden, den Koka-Anbau einzustellen. Das hätte ihnen aber jegliche Existenzgrundlage entzogen. Heute freuen sich diese Bauern über ihr Bio-Produkt – Pestizide und andere chemische Mittel entfallen, die ersten Angestellten konnten eingestellt werden. Ihr Wunsch lautet einhellig, dass es ihren Kindern einmal besser gehen solle, als ihnen.

Und da dazu eben auch die Bildungsarbeit gehört, finden notwendige Schulungen statt, die über Bio-Anforderungen, Marketing, Qualitätskontrolle aufklären. Auf der Jugend dieser Regionen lastet eine große Verantwortung – sie sollen von Anfang an mitlernen und später das Geschäft erfolgreich führen. Und sogar die Weltwirtschaftskrise zeigt im fairen Handel ihre Auswirkungen besonders massiv. Benötigte Energie und Rohstoffe sind in kürzester Zeit dramatisch teurer geworden und können von den armen Bauern nicht mehr bezahlt werden. Zudem stornierten etwa England oder Nordamerika zahlreiche Bestellungen.

Eine Frage der Qualität

FairTrade-Händler haben natürlich auch mit dem Vorurteil zu kämpfen, ihre Produkte seien im Gegensatz zu herkömmlicher Ware massiv überteuert. Martin Müller plädiert deshalb dafür, „Äpfel nicht mit Birnen“ zu vergleichen: Fair-Trade-Lebensmittel seien von höchster Qualität, wenn man diese mit dem Billig-Kaffee in manchen Supermärkten vergleiche, ja, dann sei FairTrade doppelt so teuer. In diversen Geschäften würde aber auch Kaffee aus Kolumbien angeboten, in goldenen Tüten. Dieser sei weder fair gehandelt, noch Bio-zertifiziert – aber teurer als die FairTrade-Produkte.

Trotzdem weiß Müller, dass es „leider einen Großteil von Menschen“ gebe, die sich „gar nichts anderes leisten“ könnten, als eben nicht fair gehandelte Produkte zu kaufen. Er spricht sich dafür aus, dass faire Löhne hierzulande nicht auf die Kosten der Ärmsten irgendwo in der globalisierten Welt gehen. Müller will das Bewusstsein für die Fragen stärken, wo die Produkte überhaupt herkommen und wie sie produziert werden.

Weniger ist mehr

Eine zusätzliche Frage wirft er ebenfalls auf: „Vielleicht ist auch weniger mehr, vielleicht reicht auch ein Kaffee weniger am Tag?“ Das Konsumverhalten in Deutschland habe sich verändert. Kaffee oder Schokolade seien Luxusprodukte, schließlich müssten diese von weit her eingeflogen werden. Vor 30 Jahren wurde Bohnenkaffee in 25-Gramm-Tüten verkauft, den gab es sonntags oder bei weniger wohlhabenden Familien an hohen Feiertagen, erzählt Müller. Der Ausspruch: „Heute trinken wir einen Bohnenkaffee!“ zeige ja, dass es auch etwas anderes gegeben haben muss.

Insgesamt sieht Martin Müller die Entwicklung aber positiv. Mittlerweile lernten auch schon größere Unternehmen dazu und stellten ihre Produktion und Produkte in ihren Betriebskantinen teilweise oder vollständig auf Fair-Trade um. Müller glaubt, dass fairer Handel hochwertigste Produkte zu einem angemessenen Preis verkaufe – und ja, damit könne auch nur eine bestimmte Gruppe von Menschen erreicht werden. Mit ihrem Einsatz und ihrer Bildungsarbeit, wollen faire Händler wie Martin Müller aber dafür sorgen, dass diese Gruppe ständig weiter wächst. Wohlwissend, dass bereits große Schritte getan wurden.

Autor*in
Taner Ünalgan

Taner Ünalgan war bis zum Sommer 2012 Bundeskoordinator der Juso-SchülerInnen

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