Inland

Heidenau: Wie ein Jura-Student den Freistaat Sachsen düpierte

Groß war die Empörung, als ein Willkommensfest für die Flüchtlinge im sächsischen Heidenau einem "polizeilichen Notstand" zum Opfer zu fallen drohte. Dass es anders kam ist einem Juso mit ausgeprägtem Vertrauen in den Rechtsstaat zu verdanken.
von Robert Kiesel · 1. September 2015
Willkommensfest Heidenau
Willkommensfest Heidenau

Es sind Bilder der Freude und des Glücks, wenn auch nur für einige Stunden: Menschen tanzen im Kreis, sie halten sich an den Händen, singen, feiern. Im Hintergrund toben Kinder auf einer Hüpfburg; lachen Augen, die zuletzt nur noch weinen konnten. Kaum zu glauben, dass diese Bilder während eines Willkommensfestes in Heidenau entstanden sind. Jenem Ort, der zuletzt durch gewalttätige Ausschreitungen von Rechtsextremen in Verruf geraten war und seitdem in einem Atemzug mit Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda genannt wird.

Heidenau: Schützenhilfe aus 600 Kilometer Entfernung

Nicht weniger kurios sind die Hintergründe, die dieses Fest überhaupt möglich gemacht haben. Sie haben mit Engagement, Selbstbewusstsein, Risikobereitschaft zu tun. Und nicht zuletzt auch mit einem unerschütterlichen Vertrauen in den Rechtsstaat. Michael Fengler vereint all das in einer Person. Der 25-Jährige studiert Jura in Bonn und ist Vorsitzender der „Jusos Bonn-Hardtberg“. Aus 600 Kilometern Entfernung ermöglichte er die Szenen der Freude. Aber eins nach dem andern.

Zunächst war da der „polizeiliche Notstand“. Diesen hatte das Landratsamt Pirna ausgerufen, einen Tag bevor Aktivisten und Freiwillige ein Willkommensfest für die Flüchtlinge in Heidenau veranstalten wollten. Die Folge war ein Verbot sämtlicher Versammlungen im betroffenen Landkreis für das gesamte Wochenende, unangeachtet von Anmeldung oder Ausrichtung. „Das war ein Paukenschlag, das können die doch nicht machen“, erinnert sich Fengler seiner eigenen Empörung.

Verwaltungsgericht gibt Antrag statt

Aus ihr wurde Aktionismus, Fengler legte los. Sein wichtigstes Instrument: ein Faxgerät. Ausgerechnet möchte man meinen, doch vor Gericht zählt eben noch analog. Fengler faxte: Zunächst einen Widerspruch gegen die Allgemeinverfügung des Landratsamtes in Pirna, dann einen Antrag an das Verwaltungsgericht Dresden. Die schlaflose Nacht hatte sich gelohnt. Am nächsten Tag gab das Verwaltungsgericht seinem Antrag statt, das Willkommensfest in Heidenau konnte stattfinden.

Für Fengler ging die Arbeit damit erst richtig los. „Am Nachmitag ratterte mein Faxgerät erneut, Absender war das Oberverwaltungsgericht in Bautzen.“ Nach einer Beschwerde aus dem Landratsamt gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts blieben dem Studenten ganze 15 Minuten Zeit, eine Stellungnahme abzugeben. Fengler wurde klar: „Das ist eine Art David gegen Goliath, ich war ganz auf mich allein gestellt.“

Der Marsch durch die Ebenen

Doch Aufgeben war keine Option. Fengler erkämpfte einen 10-minütigen Aufschub, schrieb eine Stellungnahme. Vergebens: Das OVG kippte den Spruch des Verwaltungsgerichtes, setzte das Versammlungsverbot wieder in Kraft, mit Ausnahme des zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits beendeten Willkommensfestes. Schmerzhafter Nebeneffekt: Fengler bekam 90 Prozent der Prozesskosten „aufs Auge gedrückt“, etwa 1000 Euro. „Viel Geld für eine Studenten“, so Fengler. In seiner anfänglichen Riskoabwägung hatte er mit maximal 200 Euro Kosten gerechnet. „Das waren mit die Grundrechte wert“, sagt er heute.

Fengler brauchte Verbündete und fand sie in seinem Chef, Michael Felser. Gemeinsam mit dem Rechtsanwalt verfasste er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Diesen schickten sie noch am selben Abend nach Karlsruhe, per Fax versteht sich. Adressat: das Bundesverfassungsgericht, Deutschlands oberstes Verfassungsorgan.

„Klüger als der sächsische Innenminister“

Am nächsten Morgen klingelt das Telefon. „Hallo Michael, hier ist Sigmar Gabriel“, vor Schreck fiel Fengler fast aus dem Bett. „Er hat mir gratuliert und für meinen Einsatz gedankt, außerdem sicherte er mir zu, für die Verfahrenskosten aufzukommen“, erinnert sich dieser. Dass der SPD-Chef den Juso zuvor bereits als „klüger als der sächsische Innenminister“ geadelt hatte, davon hatte Fengler bis dahin noch gar nichts mitbekommen. Vielleicht hätte Gabriel das Fax nehmen sollen?

Eben jenes „ratterte“ am Nachmittag erneut, Post aus Karlsruhe: Die Richter gaben Fenglers „Antrag auf einstweilige Anordnung“ statt, setzten den polizeilichen Notstand aus. Der 25-Jährige kann sein Glück kaum fassen: „Das Schreiben werde ich mir einrahmen, ganz sicher." Hat er es doch jetzt schwarz auf weiß: „Der Freistaat Sachsen hat meine Grundrechte verletzt, das hat mir das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Für einen Juristen ist das wie ein Sechser im Lotto“, so Fengler.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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